Todesflirt
»Entschuldigung« heißen sollte, blieb dahingestellt.
»Bist du sicher, dass dein neuer Freund da nicht eine Kamera in seinem Zimmer installiert hat und das jetzt scharf findet?«
Verdammt! Auf diese Idee war ich überhaupt noch nicht gekommen. Meine Augen wurden zwei Schlitze. Ich setzte mich kerzengerade auf.
»Könnte doch sein, oder?«, heizte Max weiter an. Ja, könnte sein. Nein, könnte ganz und gar nicht sein.
»Aber … aber …« Ja, was aber, Frau Resch? Weil er mir erzählt, jemand ist hinter ihm her? Und ich glaube das, wie ich ihm alles geglaubt habe bisher. Dabei verschweigt er doch das allermeiste! Wie die Spitze eines Eisbergs schaut er aus seinem Leben heraus, die unteren sieben Achtel völlig unsichtbar. Vielleicht ist das sein Trick – die Frauen anschmachten, verführen, verunsichern und eines Tages …Oh nein!
»Tabea?«, riss mich Max aus meinen Gedanken und erst jetzt bemerkte ich, dass er aufgestanden war. Dass neben ihm ein Mädchen wie aus dem Erdboden erschienen war. Fast so groß wie er, fast so blond und mit ebenso frischen roten Wangen wie er. Und dass er den Arm um ihre Hüfte gelegt hatte.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er, beugte sich zu ihr und küsste ihre Schläfe. Sie grinste und fuhr ihm über das Bäuchlein, das sich über seiner Hose spannte. »Ich lösch das Foto wieder, okay?!«
Ehe ich so weit war, wieder sprechen zu können, waren die beiden schon verschwunden. Es ließ mich völlig kalt, dass Max ganz offensichtlich eine Neue hatte. Mich wunderte nur eins: Dafür, dass er bis vor Kurzem noch so den verzweifelten, verschmähten Helden gegeben hatte, war das ja ganz schön flott gegangen. Mir sollte es recht sein. Und Hauptsache, er nahm das Foto aus dem Netz. Landfreund – wer sollte das denn sein?
Mein Zimmer sah aus wie das sprichwörtliche Schlachtfeld. Der Inhalt des Papierkorbs lag immer noch auf dem Boden verstreut und war inzwischen im ganzen Raum verteilt. Socke hatte wohl ihren ganz persönlichen Beitrag zu dieser Sauerei geleistet. Auf dem Schreibtisch herrschte Tohuwabohu und meine Klamotten hatte ich auch seit Tagen nicht weggeräumt. Ich riss das Fenster auf und begann, Ordnung zu machen. Vielleicht half mir das, klarer zu denken. Aber das Chaos in meinem Kopf wurde nicht übersichtlicher. Konnte es sein, dass mich David derart verarschte? Gab es gar keinen großen Unbekannten? Aber wozu sollte so ein Versteckspiel gut sein? Und warum sollte er eine perverse Freude daran haben, uns zu fotografieren und dafür zu sorgen, dass die ganze Welt sich das ansehen konnte? Okay, es gab Menschen, die fanden so was geil. Aber seine Reaktion auf das Foto war total glaubhaft gewesen. Ob er ein so guter Schauspieler war?
Was er wohl gerade tat? Warum konnte ich ihn nicht einfach anrufen? Mist, elendiger! Hinfahren – nein, das verbot sich. Ich würde ihm meine Hand nicht reichen. Wenn, dann müsste er … Warum fühlte ich schon wieder eine weiche, nachgiebige Kuhle in meiner Magengegend? Meine Aufgabe war es, mit ihm Schluss zu machen. Er war nicht gut für mich. Ich musste ihn verjagen, aus meinen Gedanken, aus meinem Leben, aus meinem Herzen.
Aber wenn ihm etwas geschehen würde – wenn ihm tatsächlich jemand nach dem Leben trachtete –, ich würde mir bis ans Ende meiner Tage Vorwürfe machen. Mann, Tabea, schimpfte ich mich mal wieder. Wie viel einfacher war es, ein Frauenprojekt in Burma mit einem Mikrokredit zu unterstützen und von einer besseren Welt zu reden – als einen Menschen, der mir doch so viel bedeutete, nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Nur weil ich ein Feigling war! So ging das nicht! So funktionierte die Welt nicht.
Jene düsteren Zeilen aus dem Gedicht auf der Seite von Torstens verstorbenem Freund kamen mir in den Sinn. Vielleicht fiel Azraels Schatten, der des Todesengels, bereits auf David. Ich zog mir meine dunkelblaue Trainingsanzugjacke über und schloss den Reißverschluss bis unters Kinn. Trotzdem fröstelte ich noch. Dann schaltete ich den Computer wieder an. Max hatte das Foto tatsächlich gelöscht. Keine Spur mehr davon zu sehen. Als sei nie etwas gewesen. Hoffentlich hatte es nicht irgendein Volldepp geteilt.
Ich wollte mich durch Torstens Freunde klicken, um jenen Robin mit seinem Gedicht zu finden. Aber dann blieb ich an ein paar Posts auf Torstens Seite hängen. Er hatte eine Veranstaltung eingestellt: ein mehrtägiges Jugendcamp im August für Schüler in der Sächsischen Schweiz mit Bootstouren,
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