Todesflirt
Sonnenstrahlen des Tages in mein Zimmer. Eine Wolke auf ihrem Weg über den Himmel knipste sie aus. Es wurde dunkler, dunkelgrau, bleischwer. Heute würde es noch regnen.
Während dicke Tropfen auf meinem Dachfenster lärmten und der Wind die Äste schaurig aneinanderrieb, lag ich in meinem Bett und wälzte mich, als sei es ein Schiff auf hoher See. Wieso hatte David so ein T-Shirt? Vielleicht wusste er gar nicht, was es für eine versteckte Botschaft barg? Bestimmt alles nur ein Zufall. Vielleicht … ich setzte mich kerzengerade auf, das Kopfkissen zwischen die Knie gepresst. Genau! Vielleicht hatte David in Hamburg Ärger mit irgendwelchen Rechtsextremen gehabt! Hatte sie gegen sich aufgebracht, weil er irgendetwas getan hatte, um ihnen zu schaden. Hatte deshalb abhauen, untertauchen müssen, einen neuen Namen annehmen – weil sie hinter seinem Leben her waren. Meine Finger wurden feucht, krallten sich ins Kissen. Deshalb vielleicht diese Sorge um mich – vor diesen Typen musste man schließlich echt Angst haben, denen war alles zuzutrauen. Mir fiel die Zwickauer Terrorzelle ein, die über zehn Jahre lang Angst und Schrecken verbreitet und zehn Menschen ermordet hatte, ohne dass irgendwer einen Zusammenhang mit rechtsextremen Taten vermutet hatte. Vielleicht war er an Typen dran, die Ähnliches geplant hatten? Bestimmt war er in irgendeiner Antifa-Gruppe aktiv, hatte Aktionen gegen rechts organisiert – und war so selbst zur Zielscheibe geworden. Damit wäre auch klar, wer all die fiesen Aktionen der letzten Wochen gegen ihn eingefädelt hatte. Aber warum hat er nicht mit mir darüber gesprochen? Okay, je weniger ich wusste, umso weniger geriet ich in Gefahr, wenn … Ich musste aufstehen, umhergehen. Schließlich hatten sie ja auch Luisa bedroht. Ein greller Blitz erhellte das Zimmer einen Sekundenbruchteil. Mein Heile-Welt-Zimmer. Was, wenn diese Typen hier auftauchen würden? Meine Handynummer hatten sie schon – sonst wäre mir das Foto nicht geschickt worden. Vor allem hatten sie David gefunden, sie wussten, wo er wohnte, wo er arbeitete, sie kannten mich – oh Gott, sie hatten sein Leben völlig ausspioniert – bis in die intimsten Ecken. Wie widerwärtig!
Und dann fiel mir Robin ein – der ermordet worden war! Vermutlich war er das erste Opfer gewesen und deshalb hatte David abhauen müssen – um nicht ebenfalls gekillt zu werden. Ich musste vor Entsetzen laut auflachen, legte meine Hand gegen das Dachfenster, spürte seine Kälte und zog sie unwillkürlich zurück. Verdammt. Verdammt. Verdammt.
Aber wieso hatte David dieses T-Shirt? Gut, er wusste wahrscheinlich genau, wer ihm da auf den Fersen war – vielleicht hatte er jemand treffen müssen. Mich schüttelte es. Wahrscheinlich hatte er die Typen gesucht – und wo fand man die besser als bei szeneüblichen Veranstaltungen. Da hatte man ihm das T-Shirt in die Hand gedrückt, und das war’s. In dem Moment hatte er bestimmt keinen Kopf, darüber nachzudenken, was es wohl mit diesem T-Shirt auf sich hatte.
Ich musste zu ihm! Musste ihm sagen, dass ich zu ihm stand, dass ich ihm helfen würde. Wir würden zur Polizei gehen, diese Leute anzeigen. Warum hatte er das nicht schon längst getan? Sicher wusste David Namen, kannte Personen, die ihm nach dem Leben trachteten. Scheiße! Ob die wirklich vor Mord nicht haltmachen würden? Nein, würden sie nicht. Am liebsten wäre ich sofort losgefahren zu ihm. Aber es war drei Uhr nachts, es gewitterte und ich hätte das Fahrrad nehmen müssen. Und dann machte es gleich noch mal Klick in meinem Hirn. Torsten – was war mit Torsten? Auch er kannte Robin. Er hatte auf der Facebook-Seite geschworen, den Mord an Robin zu rächen. Andererseits hatte er diesen »Kinderschänder«-Aufkleber auf seinem Auto. Eher ein rechtes Symbol, noch dazu in der Runenschrift. Ich überlegte nicht lange und sprang die Treppenstufen ins Stockwerk tiefer, wo Annika schlief. Damit ich sonst niemand weckte, schlich ich vorsichtig in ihr Zimmer. Das war viel nüchterner als meins. Weiße Wände, weiß lackierte Holzmöbel, alles ordentlich aufgeräumt, ein paar apfelgrüne Kissen, ein olivgrüner runder Teppich vor ihrem Bett, Fotografien von Blüten an den Wänden, zum Teil in Schwarz-Weiß. Ihre langen dunklen Haare wogten über die Bettkante nach unten. Der Träger ihres veilchenblauen Nachthemdes über die Schulter gerutscht. Hingestreckt lag sie da und eine Sekunde suchte ich bestürzt, ob sie ein Messer in der Brust stecken
Weitere Kostenlose Bücher