Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
Vom Netzwerk:
gleiche. Wer einmal darin gelandet sei, komme nicht wieder hoch. »Halt dich da raus, woraus auch immer. Und zähl nicht auf mich.«
    Auf alle ihre Fragen fehlte ihm die Erinnerung. Zu viel ›Pastis‹.
    Als sie so redeten, kam ein etwa zehnjähriger Junge in ›Nike‹-Turnschuhen mit einem kleinen, gefleckten Hund. Achim ging mit ihm ins Haus, kam allein zurück. Unten bei einer kleinen Brücke warteten zwei bewaffnete Männer auf sie. Sie sei verfolgt worden. Hat sie denn nicht auf einen blauen ›Citroën‹ mit Dijoner Kennzeichen geachtet?
    Von Achims Haus aus führte ein etwas breiter Feldweg über den nächsten Gebirgszug.
    Es war die gewundene Straße mit rutschigen Schotterstellen, es waren die Oliven oder die ungewohnte Hefe im Brot, kaum hatte Alja diesen Hügel hinter sich, wurde ihr elend schlecht. Sie konnte gerade noch einen Nothalt einlegen und war froh, sich zu übergeben.
    Wie Achim geraten hat, hat Alja die Autobahn bei Lyon verlassen, fuhr schräg durch die Straßenkarte von unten nach oben durch die Franche-Comté nach Hause, sehr schräg auf schlechten Straßen. Sie durfte nicht einschlafen, sang in voller Lautstärke französische Chansons und rezitierte Schiller, etwas zackig, es musste sie wach halten, sie wollte heim. Zusätzlich zur voll aufgedrehten Lüftung öffnete sie immer wieder die Fenster, ließ Nachtluft herein. Heute hat sie denn auch prompt eine steife Schulter.
    Auf der langen Fahrt hatte sie Zeit, über ihre Zufälle nachzudenken, die Gedanken scheinen ihr zuzufliegen. Alja ist wieder ganz bei der Sache, sitzt vorn auf der Stuhlkante:
    »Durchschnittsmenschen wie uns fehlt die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die ihre Pläne über Jahrzehnte ausdehnen. Was Achim sagte, hieße, ich muss in einer Zeit meines Lebens erfasst worden sein, als ich noch sehr jung war. Meine Begabung war zwar klar, doch die Weichen waren noch nicht gestellt. Man hätte gewartet, bis ich mich bewegen wollte, man hätte einen für mich passenden Köder an genau der Stelle platziert, wo er mir vor der Nase baumeln würde, und ich hätte danach geschnappt. Die Mühle, das Inserat, der Kollege, der mir die Zeitung hinstreckte, die Formulierung, bei der ich nicht wissen konnte, dass es ›das‹ Haus war, den Ort nicht erkennen konnte.«
    Alja fuhr durch die Nacht, drehte und wendete ihre Gedanken. Also hatte damals die liebe Charlotte Platen beschlossen, sie hier wohnen zu lassen. Sie hatte sie vorher irgendwann einmal als Pianistin zur Kenntnis genommen. Ein ganz klein wenig müsste sie ihr doch imponiert haben. Zumindest der ›Petit-Duc‹ musste ein Zufall gewesen sein. Das konnte nicht gestellt sein. Doch hatte Alja sich hier nicht genau so verhalten, wie es von ihr zu erwarten war? Für andere wäre sie exakt berechenbar, das wäre ihre Schwachstelle.
    Als Alja so gefahren sei und sich überlegt habe, für was Charlotte Platen sie denn benutzt hätte, welche Rolle in ihrem Spiel sie ihr zugedacht habe, da wusste sie es plötzlich klar: Halt, sie lässt sich auch jetzt in ein Spiel hineinziehen. Sie ist frei, sobald sie sich dessen bewusst ist. Diese gottverdammten Spiele können nur so wichtig werden, weil alle sie mitdenken. Ihre Freiheit besteht darin, hier an diesem Punkt zu stehen, zu wissen, was für sie wichtig ist: an ihrem Garten zu arbeiten, hin und wieder Scarlatti zu spielen, für Jenny, für Noël und für alle, die sie liebt; zu backen, Moshe zu kuscheln und sich endlich einen Sennenhund zu kaufen.
    Es war seltsam, in diesem Moment, da Alja sich mutig und frei fühlte und völlig wach die Straße fuhr, löste sich aus den schwarzen Baumschatten eines Waldrands ein heller Schatten, flog durchs Scheinwerferlicht ein großer, weißer Vogel im Sinkflug, direkt vor Alja über die Straße hinweg, eine Eule. Im Tiefflug segelte sie über grau schimmerndes, hochstehendes Gras weg ins bewaldete Flussufer – ein Geistervogel. Sie wusste, sie war gleich daheim, hier haben seit Langem weiße Eulen ihr Revier, zwischen dem Jurahang und dem Fluss.
    Es ist eine beklemmende Geschichte.
    Trocken meint Knut: »Ich habe Mühe damit, wie wäre es jetzt mit einem Bier? Da soll es den großen Unbekannten im Hintergrund geben. Pardon, es wäre eine Frau, und zwar ausgerechnet die edle Charlotte Platen, und Alja wäre nichts weiter als lebenslang ihr Spielball gewesen, wir anderen hätten endlich zu begreifen, wie wichtig es ist, sich im richtigen Moment zu ducken.«
    Claas mischt sich ein: »Ich kann es

Weitere Kostenlose Bücher