Todesformel
haben.
Knut war gestern auf einen Sprung da, hat mir eine Tafel weiße Krokantschokolade mitgebracht, als Trösterchen, weil ich ja allein sei. Seither hat er vielleicht versucht, mich zu erreichen. Ich habe Fred Roos zwar nicht richtig gekannt. Hat Fred Roos nicht in der ›Delton Biotec‹ gearbeitet? Als ich ein Kind war, war er doch Chauffeur mit schwarzer Jacke und Mütze, er fuhr jeweils die Direktorenlimousine mit den dunkel getönten Scheiben hinten im Fonds. Man wusste nie, saß jemand drin oder nicht. Er wohnt doch oben in Hochberg in Richtung Feldisberg, in diesem grünen Flachdachhaus? Weiß man denn etwas Näheres? – Die Polizei geht von einem Raubmord jugendlicher Nordafrikaner aus, in Straßburg haben sie große Probleme mit denen. Dieser Ton, Uschi macht sich wichtig mit polizeiinternen Informationen. Gekannt hat ihn auch Uschi nicht wirklich, doch er war immerhin ihr Stammgast, und jetzt soll er tot sein, erschossen. Uschi findet das grässlich.
Ich rufe Knut an, lade ihn auf Sonntagmittag zu einer Bouillabaisse ein.
Am Freitagnachmittag hole ich Noël wieder nach Hause. Es regnet nicht mehr. Mit Alja sitze ich auf der niedrigen Steinbank in der Mitte ihres zukünftigen Sonnengartens im obersten Teil ihres Grundstücks, eine in den Hang geschnittene, nach vorne mit einer Mauer befestigte Terrasse mit Rondell. Wir sind froh um unsere windfesten Jacken. Auch dieser Sonnengarten ist bei ihrem Einzug trostlos verwildert gewesen. Es lässt sich noch erraten, wie die Beete um den Sockel mit der Sonnenuhr strahlenförmig angelegt waren. Natürlich, vor Alja war Charlotte Platen, die Mutter jener Frau Platen von neulich, die Besitzerin der Mühle gewesen, wobei Alja das noch nicht einmal beim Unterzeichnen des Kaufvertrags gewusst hatte. Verkäufer war damals eine Verwaltungsfirma. Alja hat Charlotte Platen ja erst nach jenem Ereignis mit dem ›Petit-Duc‹ kennengelernt.
»Sie saß damals bei jener hässlichen Szene und meinem Streit um den ›Petit-Duc‹ oben auf dem Hochsitz, hat zugesehen und alles philosophisch betrachtet. Das hat sie mir später erzählt. Einer der Jäger war ihr Schwiegersohn, der hochwohlgeborene Mattis Platen-Alt, habe ich dir das nicht erzählt?«
Felix Gamba hat für Alja die Erde tief abgetragen, ersetzt, planiert. Mit kleinen Stöcken und Schnüren sind die schmalen Wege markiert. Große Haufen Sand, gelber Schotter und Säcke mit Erde liegen bereit und sicher zweihundert kleine Buchspflänzchen, die gepflanzt werden sollen, stehen in Reih und Glied. Ohne Felix’ Hilfe müsste sie dazu eine teure Gartenbaufirma beauftragen. Alja scheint abgelenkt, schaut immer wieder über die Wiese zum Waldrand. Etwas abwesend meint sie, ob ich mich auch freue, wenn bald wieder die Holunderblätter aus diesen kahlen Zweigen hervorbrächen? Es geschehe jeweils so ruckweise, man könne fast zuschauen. Ob ich auch fühle, wie sich diese Kraft in den Zweigen anstaue? Sie freue sich schon jetzt auf den Geruch der Blüten.
Ihre Aufmerksamkeit ist endgültig unten beim Haus, bei der Tenne, weit vorne am Feldweg zur Brücke über den Bach. Plötzlich springt sie auf: »Wo ist Noël?« Sie läuft ein paar Schritte hin, ein paar Schritte her, wir haben ihn aus den Augen verloren! Ich lache, Noël macht mit Moshe einen kleinen Spaziergang zum Hof, dort hat es Kälbchen und junge Katzen, sie können noch gar nicht wieder da sein.
Dann ist Noël zurück, sprudelt vor Energie. Er hat mit Alja in zwei Tagen eines der oberen Zimmer frisch gestrichen, ringsum und die Decke. Alja hat auch Künstlermalfarben und richtigen Malerkarton gekauft. Noël hat für mich eine Eule gemalt – Welche Mutter findet ihr Kind in seinen Künsten nicht großartig? Ich bin von seinem Werk begeistert, diese riesige dunkle Eule auf dem etwas kleinen Blatt ist wirklich gut; doch ich nehme mich sofort auf Distanz, bloß nichts in Noël hineinprojizieren, ihn nicht in eine Rolle stilisieren, er darf durchschnittlich malen wie alle anderen Kinder – wie bin ich doch akademisch verbildet. Dorothy würde sagen, typisch Mond in Jungfrau. Noël hat schon wieder andere Interessen, erklärt tief beeindruckt, Alja besitze einen echten Tränengasspray, nicht bloß so Pfeffer, Tränengas habe mehr Druck, reiche viel weiter. Dieser Spray sieht aus wie der Duftspray mit Pfirsichgeschmack, den wir wegen Moshe gekauft haben. Alja trägt ihren Spray immer im Beutel mit dem Portemonnaie und den Schlüsseln bei sich. Das ist praktisch
Weitere Kostenlose Bücher