Todesformel
wäre zwar in der Kanzlei, doch da ist niemand, der mir meine Arbeit abnimmt.
Am Abend fahre ich mit Noël und Moshe auf einen Blitzbesuch zu Knut. Alja hat einmal gesagt, wenn etwas Schlimmes geschieht, ist Suppe oder etwas Süßes genau richtig. Damals foppte ich sie, sie könne sich mit Dorothy zusammentun, wenn alles nicht mehr nütze, gebe es etwas in den Magen, man könne dabei zusätzlich das jeweilige persönliche Horoskop berücksichtigen – Seelentrost nach Hausfrauenart. Jetzt tue ich es genau so.
Wir bringen den halben ›Cake‹ und den großen Rest der gebrannten Creme vorbei, die Knut so mag.
Knut sitzt Whisky trinkend vor dem Fernsehapparat und sieht sich einen Trickfilm mit den ›Simpsons‹ an, eine amerikanische Familienparodie.
Seine Lippen sind schmal, die dünnwandigen Ohren weiß, wie ich es befürchtet habe. Für Noël und mich gieße ich Minzentee auf, decke den Tisch für ein süßes Nachtessen, finde in der Küche noch Brot und Salami.
Knut war es Felix schuldig, dass er gleich hinfuhr. Das Schlimmste war da vorbei, sie hatten Felix schon abtransportiert. Sogar an einem windigen Sonntagmittag gibt es Neugierige, die abgehalten werden müssen, nicht nur Leute aus dem Dorf. Alles zertrampeln sie, eine abstoßende Todesgeilheit.
Er soll mich von Sven Dornbier grüßen, der mich aus unserer gemeinsamen Studienzeit kenne, der diensthabende Kommissar, noch sehr jung. Trotz seiner Benommenheit bemerkt Knut meine freudige Reaktion, Sven Dornbier habe ich vor Jahren aus den Augen verloren.
Knut hat auch schon mit diesem Dornbier zusammengearbeitet, ein eigenwilliger Typ, so halblange blonde Locken – gut, er bindet sie wenigstens zusammen, wahrscheinlich ist er nicht einmal schwul – und immer diese Motorradmontur und Kettchen, er fährt eine schwere ›BMW‹, bei jedem Wetter. Doch er war kompetent. Heute hat Knut ihn als Mensch erlebt, zwischendurch hat er sogar befürchtet, der werde kotzen oder weinen. Er hat ihn reden lassen, und ihm, Knut, hat es schon nur gereicht, es erzählt zu bekommen, wahrscheinlich weil der Tote Felix war.
Dornbier ist von einer Einvernahme junger Schläger abgerufen worden, bei Tagesanbruch, nicht gerade ein freundlicher Sonntagmorgen eben. Er sei froh gewesen, weg und aufs Land hinausfahren zu können.
Doch dann dieser Ärger hier, schon nur die zwei Streifenbeamten, die als Erste vor Ort waren und nicht einmal abgesperrt hatten. Sie seien überfordert gewesen. Knuts linkes Auge zuckt, er hustet, seine Stimme wird fast unverständlich leise. Der Tod musste vor Stunden eingetreten sein. Felix’ Gesicht war von einem Hügel krabbelnder, schwarzer Bienen zugedeckt. Sven Dornbier habe Hitchcock erwähnt, die Wirklichkeit sei oft hässlicher, als das, was Menschen erfinden. Dornbier habe gemeint, die Bienen fräßen das Gesicht. Erst nach einer Stunde war ein Spezialist da, der wusste, wie ein Bienenvolk ohne Gift und ohne Attacke einzusammeln ist. Ein ganzes Bienenvolk, das sich auf das Gesicht eines Toten niederlasse, das habe auch der Obmann des Imkervereins erst aus Geschichten gehört. Es sei etwas Außerordentliches. Es gebe nicht für alles eine Erklärung. Das Gesicht war übrigens unversehrt. Der erste Befund des Pikettarztes ist ›Tod durch Herzversagen s anschließender oder gleichzeitiger Sturz, unglücklich nach hinten, gegen das Glas eines Bienenkastens, doch keine Schnittverletzung – Genickbruch, höchstwahrscheinlich sekundär. Jedenfalls ein sofortiger Tod vor mehr als zwölf Stunden, zwischen zwölf und zwanzig, also gestern zwischen Mittag und Abend.
Dieser Dornbier war zuerst erschrocken, als Knut mit Blaulicht den Feldweg hochgefahren kam. Er kannte Knut bloß als Leiter der Verkehrsabteilung und wusste nicht, dass er hier oben in Feldisberg wohnt. Er hat gemeint, Knut hole ihn zu einem Großereignis, von dem er noch nichts wisse. Ein ganz besonderer Typ, immer sei er darauf gefasst, verdeckt abgeholt zu werden, in einem Fall, der nicht an die Öffentlichkeit dürfe, über Funk und Handy nicht genannt werden dürfe, Chemie oder Atom, die Ängste eurer Generation. Er war offensichtlich erleichtert, dass Knut bloß deshalb herkam, weil er auf den Dienstmeldungen den Namen des Toten gesehen hat, Felix Gamba, sein ›Jass‹-Kollege.
In seinem Notebook hatte Dornbier erst die Umstände und ganz rudimentäre Fakten: Wegmacher, Friedhofsgärtner und Totengräber von Hochberg; Mieter dieses Bienenhauses; verschenkte jeweils seinen Honig.
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