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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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niemand weiß, warum er überhaupt dort ist. Das ist das eine. Das andere ist, niemand erleidet aus heiterem Himmel einen Herzinfarkt, man muss sich aufregen oder erschreckt werden, Veranlagung hin oder her, auch in Felix’ Alter, wobei er doch noch gar nicht alt war. Da war Svens Frage richtig, Felix war auch gar nicht der Typ dazu, still und leise und mit sich und der Welt im Gleichgewicht. Das Irritierende liegt in der kurzen Zeitspanne zwischen den beiden Todesfällen und in ›Holsten‹ als Ort – ein Zufall?
    Die Topografie dieser ›Höhen‹ scheint für jemanden aus der Stadt nicht gerade überschaubar zu sein. Knut ist Sven den Weg querfeldein zur ›Mey-Mühle‹ vorausgefahren, übrigens sei auch Svens ›BMW‹ nicht unbedingt für Feldwege geschaffen.
    * * *
    Watte im Kopf, wahrzunehmen und nicht zu wissen, was zusammengehört. Die Koordinaten stimmen nicht, als kennte ich zwar Buchstaben, doch erkennte die Worte nicht, da ich ebenso wenig wüsste, in welcher Sprache sie aneinandergehängt sind, als nähme ich an, dass es Buchstaben sind, weil ich Buchstaben kenne – die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Genauso eigenartig kommen in diesem Frühling Ereignisse an mich heran.

3
    AUS ALJAS GARTEN: Das Herzstück eines richtigen Gartens ist der Kompost. Die Kälte hat dem Kompost geschadet. Ein verdorbener Kompost erholt sich nicht, fault zu Mist, ist nur bedingt und in kleinen Mengen verwendbar, da er zu stark antreibt und gleichzeitig Pilz fördert. Richtiger Kompost lässt sich zwischen den Fingern zerreiben wie Walderde, riecht würzig nach Waldboden. Es empfiehlt sich, den Kompost neu anzulegen und umzuschichten. Der Platz muss vor Wind und vor direkter Sonne geschützt sein, idealerweise unter einem Holunder oder einem Haselstrauch.
     
    In einem Dorf hat eine Bestattung einen ganz anderen Stellenwert als in der Stadt. Ich entschließe mich, Knut und Uschi zuliebe an Felix Gambas Beerdigung teilzunehmen, verschiebe zwei Termine.
    Es ist eine altmodische, feierliche, katholische Totenmesse mit Gebeten, Gesang, Weihrauch und Weihwasser. Das ganze Dorf scheint sich von ihm zu verabschieden, die Kirche ist besetzt bis auf den hintersten Platz. Sein Grab wurde von einem Bauern ausgehoben, es liegt in einer Reihe von Gräbern, die er selbst im vergangenen Sommer geräumt hat. Sein Posten ist noch nicht wieder ausgeschrieben.
    Ich höre den Nachruf und denke, Felix hatte Eigenschaften, die mir fehlen, zum Beispiel Körperstärke, zum Beispiel Geduld. Dann schweife ich ab, Buchs wächst pro Jahr fünf Zentimeter. Ich habe zwei kleine Buchskugeln gekauft und in Eichenkübel gepflanzt. Ich verdränge den Gedanken, dass ich nicht weiß, wo ich sie überwintern werde, und dass sie in jedem Herbst etwas größer sein werden, schon bald einmal zu schwer, als dass ich sie noch die Treppen hinunterschleppen kann. Entweder, bis dann liebe ich sie wirklich, dann müssen Noël und ich umziehen, bevor sie zu groß werden, mit ihnen. Es gibt kein Oder: Wenn ich sie liebe, lasse ich sie nicht zurück, weil sie sonst womöglich eingingen. Fest steht anscheinend, dass wir irgendwann umziehen, wegziehen aus der Stadt, in ferner Zukunft. Man muss auch Noëls Schule berücksichtigen.
    Nach der Feier gehe ich mit Alja ›über die Gräber‹, ein fester Brauch. Alja verschwindet fast unter einem großen, schwarzen Hut, wir grüßen und werden gegrüßt. Reihe um Reihe gehen wir zwischen den Grabsteinen durch, stehen bei diesem Grab still und bei jenem, Menschen, die Alja bekannt waren, werden besucht, eine Art Bestandskontrolle, welche Namen seit dem letzten Mal dazugekommen sind. Auch wenn Alja erst seit etwa zwanzig Jahren hier lebt, ist sie mittlerweile verwurzelt; das zeigt sich jetzt daran, wie viele der Namen auf den Grabsteinen ihr geläufig sind.
    Vor dem Grab der Platen bleiben wir kurz stehen. Vor den gelben Osterglocken liegt eine verwelkte weiße Rose. Es ist ein großes Grab, offensichtlich als Familiengrab vorgesehen, ein weißes Marmormonument. Vorläufig liegt hier aber erst der erste Mann der berühmten Charlotte Platen, der Mutter von Meret Platen. Irgendwo in Italien lebt ihr geschiedener zweiter Mann. In Goldlettern prangt der Name, Julian Platen-Delton‹, das ist Meret Platens Vater. Als Spruch steht darunter, ebenfalls in Gold, ›AVE MARIA STELLA MARIS’, geschmückt mit einer Krone, katholisch. Die meisten Leute hier sind katholisch, Knut und ich als Zugezogene eben nicht, und Alja hält

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