Todesformel
Streite nicht über den Beruf der Eltern, der ist, wie er ist.«
Ich schenke mir Kaffee ein, denke, wäre Noël ein Mädchen, hätte ich vielleicht auf Namensänderung beharrt. Weil er ein Junge ist, wird ihn Benno höchstwahrscheinlich weiterhin mitnehmen, wenn er größer ist. Es sind die Väter, die den Söhnen die Wege ebnen. Jede Mutter will, dass es ihrem Kind so gut wie möglich geht, da sind wir doch wie die Tiere.
Übergangslos erkundige ich mich nach Fritzis Wohlbefinden.
Um halb acht ist Noël weg, ich sitze unten in der Kanzlei am Schreibtisch, Moshe schnarcht im Korb. Noël Benrath, ich kann mir für Noël gar keinen anderen Namen vorstellen, er und dieser Name sind für mich eins, das einzigartige Kind, der schönste Name. Wie jeden Tag trinke ich eine weitere Tasse Kaffee, blättere die Morgenzeitung durch. In einer halben Stunde wird die erste Klientin vor mir sitzen. Vorbereitet dazu habe ich mich schon nachts, das tue ich immer. Seit Noëls Säuglingszeit bin ich daran gewöhnt, auf Unvorhergesehenes gefasst zu sein, Bauchweh oder Fieber. Die Zeitung blättere ich zu dieser Zeit täglich durch: Lokalteil, Gerichtsspalte, vermischte Meldungen und Todesanzeigen. Weltpolitik erscheint mir für mich überflüssig; wenn ich denn einmal darauf sehe, fühle ich mich ohnmächtig, ausgeliefert, reduziert auf ›Zuschauerin‹ – das brauche ich nicht. Den Wetterbericht benötige ich so nebenbei, um zu wissen, ob Noël dummerweise die falsche Jacke trägt. Daheim auf den ›Höhen‹ kann ich das Wetter fühlen. Das ist hier ebenso überflüssig wie Gedanken zu Schnecken; dieser trostlose Vorgarten ist clean.
Zu meinem Erstaunen klingelt das Telefon, zehn vor acht, Aljas Handynummer erscheint auf dem Display. Es muss etwas passiert sein. Aljas Stimme tönt gesund. Sie ist in der Stadt, zufällig gleich um die Ecke, sie will gern auf einen Sprung hochkommen, bringt Honig mit. Als ich bei ihr war, habe sie ihn wegen Felix’ Tod völlig vergessen.
Ja, sie stört. Ich habe mir hart antrainiert und kämpfe täglich darum, mich während der Arbeit von nichts und niemandem stören zu lassen. Doch das mit dem Zufall kann nicht stimmen, um diese Zeit ist auch Alja noch nicht in der Stadt unterwegs, geschweige denn bei mir gleich um die Ecke.
»Es ist dringend, das heißt, es muss noch heute Morgen sein. Nein, es ist keine Steuerfrage und es geht nicht um Verträge. Nein, am Telefon kann ich dir nicht erklären, was es ist.«
Schon zögere ich. Aljas Meinung zum Telefon ist mir nur zu vertraut, Wichtiges kann am Telefon nicht mitgeteilt werden. Von Kindesbeinen an kenne ich das von Dorothy, ein Generationenzeichen, unter dem auch Knut leidet, bloß andersherum: Dass jemand mein Büro verwanzen wollte, war für Alja eine weitere Bestätigung. Auf zwei Wanzen mehr oder weniger komme es hingegen gar nicht an, alle Leitungen würden sowieso vom CIA zentral überwacht, den KGB hätten sie auch nicht aufgelöst, und ob ich mir noch nie überlegt hätte, wozu und womit ein so kleines Land gleich mehrere Nachrichtendienste beschäftige? Irgendetwas müssen die alle doch tun. – Wären es nicht die Menschen, die ich liebe, es wäre öde. So aber verdrehe ich auch jetzt innerlich bloß etwas die Augen, nahezu belustigt. Damit hat es sich, meine Morgeneinstimmung ist futsch, ich finde mich auf dem Rückzug:
»Vor elf Uhr kann ich keinesfalls mit dir reden, ich habe Klienten eingeschrieben, allerfrühestens elf Uhr.« Gestresst denke ich, von heute Morgen fehlt mir jetzt mindestens eine halbe Stunde.
Wir reden hin und her. Endlich bin ich ein Schatz und lade sie auf einen Espresso ein, jetzt.
Alja sitzt mir gegenüber am niedrigen Glastisch im Erker meines Büros. Dorthin setze ich mich mit Klienten, wenn es ein angenehmes Gesprächsklima sein soll, also kein Pult dazwischen. Sie sieht ein wenig seltsam aus auf dem gestylten schwarzen Ledersessel. Sie hat sich ›elegant‹ angezogen, schwarzes Kostüm mit Ansteckblüte mit blauen Steinen, lila Bluse, Amethystkette, zwei Fingerringe, die roten Haare mit Gel gefestigt – will sie mich beeindrucken?
Trotz der roten Lippen und dem Wangenrouge sieht sie spitz aus, die schmale Nase steht sehr blass im Gesicht, die grünen Augen erscheinen heute dunkel. Wir trinken Kaffee, ich schon die vierte Tasse heute Morgen, mein Magen klemmt ein wenig. Alja bemerkt sofort die neue, noch etwas kümmerliche Zimmerlinde.
Es ist nicht nett, doch ich sehe auf die moderne Uhr über
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