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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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meinem Pult mit dem gut lesbaren Zifferblatt. Sie hängt dort, um all meinen Besuchern ihre laufende Rechnung vor Augen zu halten. Jede ruckende Minute fehlt heute in meinem Zeitplan.
    Alja ist gleich direkt: »Du bist Anwältin, es eilt. Es geht um Meret Platen. Du hast sie ja zufällig an Ostern bei mir gesehen. Sie wird im Augenblick auf Sven Dornbiers Kommissariat einvernommen. Es geht um die Hand, die du gefunden hast. Jetzt suche man nach dem Leiter einer der Forschungsabteilungen der ›Delton Biotec‹, der Abteilung, in der Meret Platen arbeitet. Sie machte ihre Mikrozeichnungen für diesen Bereich. Dieser Leiter verschwand zehn Tage vor Ostern. Es sei mehr als eine Routinebefragung. Meret Platen sei gestern schon vernommen worden und werde heute seit acht Uhr wieder befragt. Aus irgendeinem Grund nimmt man an, dass dieser Mann tot ist und dass Meret Platen dies zumindest gewusst hat. Sie habe bestätigt, dass er ihr Liebhaber war. Man will sie in Untersuchungshaft nehmen.«
    Am Wort ›Liebhaber‹ bleibe ich hängen, sehe das ovale Gesicht Meret Platens vor mir. Unvermittelt steht sie als Frau im Raum, eine Frau mit Sexualität.
    »Alja, woher weißt du das?«
    »Du weißt doch, Jura-Höhentrommeln, Uschi hat mich gestern Nacht noch angerufen, du weißt, sie telefoniert gern. Ich habe mich heute schon um sieben Uhr bei der Staatsanwaltschaft informiert, eine ehemalige Kollegin aus dem Orchester arbeitet dort als Sekretärin, sie spielte Cello. Meret Platen hat noch keinen Anwalt. Ich habe es überlegt und denke, du solltest, könntest, würdest das tun. Ich sorge mich um sie.«
    Ich denke rasch: Sven war im Archiv. Sven hat den Gencode der Hand gefunden. Also gehört die Hand zum Chef einer Forschungsabteilung der ›Delton Biotec‹. Das ist nicht gut, für Meret Platen ist das vor allem nicht gut, falls er ihr Liebhaber war. Ich habe sie falsch eingeschätzt. Sie muss einen Anwalt haben, wenn sie verhört wird.
    Doch, wer sagt, dass da überhaupt ein Problem ist? Alja zeigt doch eine Überreaktion, wittert gewohnheitsmäßig einen Übergriff der Staatsgewalt? Ich darf mich da nicht in etwas hineinziehen lassen, von welcher Seite auch immer. Wir leben in einem Rechtsstaat. Jeder Angeschuldigte hat selbstverständlich einen Rechtsbeistand. Doch ist denn diese Frau Platen überhaupt angeschuldigt? Oft sind es aber gerade intelligente Menschen, die meinen, ihren Fall allein durchfechten zu können, weil das Recht auf ihrer Seite liege. Die machen dann die dümmsten Fehler, verheddern sich völlig ohne Not in den einfachsten Tatbeständen.
    »Mein Terminkalender ist recht voll, unbedeutend und voll. Eine Strafuntersuchung ist anspruchsvoll, zeitraubend, hektisch. Ich bin gar nicht Strafverteidigerin, sollte es darauf hinauslaufen. Warum sollte ausgerechnet ich das tun? Warum hat sie noch keinen Anwalt? Derartige Leute kennen doch die besten Anwälte, wechseln sie wie andere die Unterwäsche. So etwas schlägt Wellen, gerät in die Öffentlichkeit, da muss man perfekt sein. Ich kann mir keinen Reinfall erlauben. Dazu bin ich im Moment nicht fit genug.«
    Alja nervt. Klein und stur sitzt sie in meinem Ledersessel, die Beine übereinandergeschlagen, die Tasse in der Hand, wie intensiv sie schauen kann, wie eindringlich sie jedes Wort betont, eine Rechthaberin:
    »Bitte frag doch bloß einmal nach, jetzt. Nimm Verbindung auf mit der Staatsanwaltschaft. Nein, es kommt von mir aus, Zufall. Ich kannte ihre Mutter, Charlotte Platen, das weißt du ja alles. Nicht so, dass ich irgendeine Verpflichtung hätte, ich habe sie ganz zu Beginn meiner Zeit auf den ›Höhen‹ ein paar Mal gesprochen, sie wohnte ja gleich in der Nachbarschaft. Meret Platen kenne ich durch Felix, auch das weißt du. Denk doch an Felix’ Treue zu ihr. Ich fühle mich Meret Platen irgendwie verpflichtet, vielleicht, weil sie so abgekapselt erscheint, vielleicht, weil wir so nah in der gleichen Gegend leben. Sie scheint kein Glück zu haben.«
    Ich schüttle den Kopf, stelle das Kinn: »Ich habe diese Frau Platen an Ostern zum ersten Mal gesehen, ein einziges Mal, und jetzt soll ich mich ihr aufdrängen? Das ist doch die schlüpfrige Art, zu einem Mandat zu kommen, geradezu unanständig.«
    Alja lacht ihr leises, kehliges Lachen: »Das ist doch der normale Lauf der Dinge, jeder braucht jemanden, der ihn empfiehlt. Dein so diskretes Schild am Eingang bringt nicht viel. Ich bezahle dich für deine Aufwendungen, falls Frau Platen dich doch nicht

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