Todesfracht
würde. Er stellte sich eine so gigantische Explosion vor wie diejenige, die eine Fläche von einigen hundert Quadratkilometern um den St. Helens eingeebnet hatte. Unmöglich könnten er oder jeder andere, der zurückgelassen würde, sich vor einer solchen Explosion in Sicherheit bringen. Während der vergangenen Tage hatte er sich damit abgefunden, hier die Wochen oder Monate arbeiten zu müssen, die Juan brauchen würde, um ihn zu finden.
Und daran, dass er gerettet würde, zweifelte er nicht im Geringsten. Die Corporation ließ ihre Leute niemals im Stich.
Aber das, was Paulus und Savich im Überfluss hatten, war etwas, das Eddie kaum noch zur Verfügung stand: Zeit.
20
D er Gedanke erschien unaufgefordert in Cabrillos Geist.
Von allen Maschinenräumen in allen Schiffen der Welt muss sie ausgerechnet in diesem erscheinen.
Der unsichtbare Revolverheld nahm die Waffe von seinem Hinterkopf, während Juan den Computer und die Taschenlampe ausschaltete. »Tragen Sie ein Nachtsichtgerät?«, flüsterte er ins Ohr der Revolverheldin.
»Ja«, kam die nahezu lautlose Antwort.
»Gehen Sie voraus.« Er ergriff die Hand der Revolverheldin.
Trotz der Lederhandschuhe war sie schlank und feingliedrig.
Die Lampen, die die näherkommenden Männer bei sich hatten, spendeten gerade genug Licht, dass Juan vermeiden konnte, sich ein Knie zu verdrehen oder den Kopf in diesem Wald von Röhren und Leitungen zu stoßen. Doch er konnte nicht genug erkennen, um festzustellen, ob sie in der richtigen Richtung unterwegs waren. Er würde wohl oder übel jemandem vertrauen müssen, der ihm noch vor wenigen Minuten eine Pistole an den Schädel gehalten hatte.
Er war fast vierzig Minuten an Bord des Schiffes gewesen, daher vermutete er, dass seine Anwesenheit nicht bemerkt worden war, was bedeutete, dass es seine Begleiterin war, die die Wachen angelockt hatte. Es wäre klug, wenn er sich von ihr trennte, sich zur Seite des Schiffes begab und zur
Oregon
zurückschwamm. Damit blieben aber zu viele unbeantwortete Fragen zurück. Darum steckten sie vorerst gemeinsam in dieser Geschichte.
Sie erreichten einen Durchgang, der zum Steuerraum führte.
Sobald sie die Schwelle überquert hatten und in einen Servicekorridor abgebogen waren, konnte Juan ihre Verfolger nicht mehr hören. »Also, wer sind Sie?«, fragte er, während sie stumm zum Bug tappten. »MI-6?« Das wäre das englische Äquivalent zur CIA. Seine Frage wurde mit Schweigen beantwortet. »Royal Navy?«
»Nein«, erwiderte Victoria Ballinger. »Ich bin Vorortermittlerin für Lloyd’s in London, Betrugsabteilung.«
Wenn Lloyd’s wegen der Piraten im Japanischen Meer zur Kasse gebeten wurde, dann ergab es durchaus einen Sinn, dass sie jemanden losschickten, der der Sache auf den Grund gehen sollte, was schließlich auch ihre Anwesenheit auf der unglücklichen
Avalon
erklärte. Höchstwahrscheinlich war ein ganzes Team an Bord gewesen, um die Piraten zurückzuschlagen und Ermittlungen darüber anzustellen, wer hinter den Angriffen steckte. Leider hatten sie die Raffinesse der Piraten sträflich unterschätzt, und infolgedessen war Tory die einzige Überlebende gewesen.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte sie. »Behaupten Sie noch immer, Kapitän eines Trampdampfers mit Angelsuchgeräten, umfangreicher Tauchausrüstung und der Gabe zu sein, immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu erscheinen?«
»Darüber unterhalten wir uns, sobald wir hier raus sind.«
Cabrillos Tonfall war knapp und angespannt. Er war gar nicht glücklich über ihre Anwesenheit oder die umfangreichen Auswirkungen dessen, was er wenige Sekunden vor ihrem Auftauchen festgestellt hatte. Es gab sicher auch noch später eine Zeit für Anschuldigungen und Gegenbeschuldigungen. Zuerst musste er sie zur
Oregon
zurückbringen.
Er ging das Risiko ein, seine Taschenlampe einzuschalten, dämpfte aber den Lichtstrahl, sodass er so matt wie eine tropfende Kerze war. Tory hatte ihre Nachtsichtbrille abgestreift und in eine Schultertasche gesteckt. Danach musste sie ihr schwarzes Haar wieder unter die Wollmütze stopfen. Juan suchte ihre Augen. Sie waren blau, ihr Ausdruck wirkte fest und entschlossen und ohne eine Spur von Angst. Er hatte keine Ahnung, welche Art von Ausbildung sie absolviert haben mochte, aber die Art und Weise, wie sie den Stress ihrer fast aussichtslosen Lage auf der versunkenen
Avalon
verarbeitet hatte, und auch ihre augenblickliche Gelassenheit verrieten ihm, dass sie wahrscheinlich mit allem fertig
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