Todesfracht
während ich mit meinen Geheimnissen meinen eigenen Geschäften nachgehe.«
Singh machte mit seinem Zeigefinger eine Drehbewegung, und die starken Motoren, die die Schiffssäge durch ihre massiven Rollensysteme zogen, erwachten zum Leben. Die Sägezähne verschwammen, als sie mit rasender Geschwindigkeit zu rotieren begannen. Der Lärm war ohrenbetäubend, aber bei Weitem nicht so grässlich wie in dem Augenblick, als sich die Säge durch einen Schiffsrumpf fraß.
Juan schaute sich um, verzweifelt auf der Suche nach etwas, womit er das Unvermeidliche verzögern, wenn nicht gar aufhalten könnte. Er hatte die Grundzüge eines Plans, aber er konnte bestenfalls hoffen, zwei oder vielleicht drei von den Wächtern auszuschalten, ehe er niedergeschossen würde. Seine einzige Hoffnung war, dass Tory geistesgegenwärtig genug wäre, sich über die Reling des Tankers zu rollen und zuzusehen, dass sie von dem Schuppen wegkam. Er blickte zu ihr hinüber. Ihre Blicke trafen sich mit einer Intensität, als könnte einer die Gedanken des anderen lesen. Sie wusste, dass er etwas Verrücktes versuchen würde, und ihr Blick teilte ihm mit, dass sie entschlossen war, das Beste daraus zu machen. Dieser kurze Austausch sagte ihm, dass er sie in einer anderen Welt liebend gerne besser kennengelernt hätte.
Die Wächter schoben Juan näher an die rotierende Kettensäge heran, und ganz gleich, wie verzweifelt er versuchte, dem zu widerstehen, er konnte nicht verhindern, kleine Schritte in Richtung der industriellen Guillotine zu machen. Selbst auf knapp zwei Meter Entfernung konnte er ihre brutale Kraft spüren. Wie das Kribbeln statischer Elektrizität während eines Gewitters, war es eine lebendige Macht, die die Luft durchschnitt.
Er versuchte, seine Schultern anzuspannen und zu verkanten, doch das brachte die Wächter nur dazu, ihn weiterzuschieben.
Shere Singh näherte sich Juan, hielt aber genügend Abstand zu ihm, sodass es für ihn keine Chance gab, den Sikh zu erreichen. Singh hielt ein Stück Holz in der Hand. Indem er sich vergewisserte, dass Juan ihn beobachtete, drückte er die Holzlatte gegen das rotierende Sägeblatt. Es gab einen kurzen Knall und eine aufwallende Wolke Sägemehl. Die Säge brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um das Stück Mahagoni zu zermahlen.
Singh grinste wieder, trat zurück und rief mit lauter Stimme, um den Lärm der Maschine zu übertönen: »Ich glaube, ich gönne meinen Männern das Vergnügen, sich noch ein wenig mit der Frau zu beschäftigen, ehe sie sie der Säge überlassen.«
Juan verriet durch nichts, dass er zu handeln im Begriff war, doch in Gedanken hatte er jeden Schritt geplant, hatte seine Aktionen regelrecht choreographiert, sodass er nicht zu zögern brauchte, wenn er startete. Es gab jedoch eine entscheidende Variable in seinem Plan. Und die bestand darin, ob er den ersten Schritt überlebte.
Er schwang beide Beine in die Luft und verließ sich darauf, dass ihn die Kerle hinter ihm festhielten, während die Gliedmaßen unweigerlich zurück- und auf die Säge zuschwingen würden. Sein rechter Unterschenkel berührte die obere Kante der gezackten Kette. Er war sich vage Torys entsetzten Schreis bewusst, als die schnell rotierende Säge sich in etwas Hartes in seinem Bein fraß und dem Wächter die Griffe der Stange aus der Hand riss.
Der Schock und die brutale Kraft zerrten Juans Bein fast aus seiner Fassung, und die Gurte, die seine Prothese unterhalb des Knies sicherten, wurden bis zum Zerreißen gespannt. Aber es hatte funktioniert. Die Männer hatten sich nicht gegen die Säge gestemmt, wodurch die Kette die Möglichkeit gehabt hätte, die Titanverstrebungen seines künstlichen Beins zu durchtrennen.
Der enorme Schwung der Säge schleuderte Juan wie eine Lumpenpuppe fünf Meter weit übers Deck. Er landete mit einer perfekten Schulterrolle, und während sein Körper zur Ruhe kam, griff er in die Ruine dessen, was er gerne sein Nahkampfbein nannte. Er wollte die Kel-Tec-Pistole, die in dem Kunstbein versteckt war, herausangeln.
Die Kel-Tec war eine der kleinsten Handfeuerwaffen der Welt und wog im ungeladenen Zustand nur fünf Unzen. Aber im Gegensatz zu anderen kleinen Pistolen, die hinsichtlich ihres Kalibers auf .22 oder .25 beschränkt waren, war die Kel-Tec so konstruiert, dass sie .380er Patronen verschießen konnte. Es waren wahre Mannstopper, und die Waffenmeister auf der
Oregon
hatten die Patronen auch noch mit zusätzlicher Treibladung versehen.
So gerne
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