Todesfracht
einnahm, um so viel vom Wageninnern wie möglich überblicken zu können. Als die Tür aufschwang, flammte die Innenbeleuchtung auf. Singh lag auf dem Boden und feuerte, sobald der Türspalt groß genug war, mit seiner eigenen Maschinenpistole. Er zielte noch schlechter als sein Fahrer. Die Kugeln pflügten in die gepanzerte Tür, die Linc das Leben rettete. Der ehemalige SEAL tat das, was ihm Zehntausende Stunden intensiven Trainings eingeprägt hatten. Während er sich duckte, jagte er zwei Kugeln in Singhs Gesicht, eine unter sein Auge und die andere direkt in seinen Hals. Der Turban entrollte sich wie eine zustoßende Schlange, und sein Hinterkopf verwandelte sich in eine aufplatzende Blüte aus Blut und Gewebe.
Linc fluchte und wandte sich wütend und voller Selbstvorwürfe ab. »Verdammt, Juan, es tut mir leid. Aber es war …«
»Reiner Instinkt«, beendete Juan den Satz für ihn und blickte in den Wagen, um sich das Blutbad anzusehen. »Du hattest keine Wahl. Ich hätte genau das Gleiche getan.«
Tory schob sich an ihnen vorbei und stieg in den Mercedes.
Das Blut ignorierend, tastete sie Shere Singhs Leiche ab und reichte seine Brieftasche nach draußen. Sie zog einen Aktenkoffer vom Rücksitz, wo Singh ihn deponiert hatte, schaute sich noch einmal um, ob sie nichts übersehen hatte, und stieg wieder aus dem Wagen.
»Nun, Freunde, das hat sich wohl als eine Sackgasse erwiesen, hm?« Sie wischte sich die Hände an ihrer Hose ab und deutete auf die Straße hinter dem Helikopter. »Es wird nicht lange dauern, bis sich Singhs Truppen neu organisiert haben und sich auf die Suche nach ihrem Boss machen. Da Diskretion immer vernünftiger ist als Mut und Tapferkeit, sollten wir lieber zusehen, dass wir schnellstens von hier verschwinden.«
Während sie in Richtung Hubschrauber gingen, gab George Adams als Vorbereitung für den Start bereits Gas und füllte die Luft mit Staub und Sand und zwang sie so, sich zu bücken. Juan tippte Tory auf die Schulter und deutete mit dem Daumen hinter sich auf den Mercedes.
»Nur eine Ermittlerin für Lloyd’s?«
Tory wusste intuitiv, wovon er sprach. Sie grinste herausfordernd. »Davor war ich bei der Regierung Ihrer verehrten Majestät tätig.«
»Als was?«
Sie legte eine Hand auf die Beretta, die sie wieder im Holster verstaut hatte. »Als Ausputzer.«
22
J uan Cabrillo hatte sich in den Chefsessel der Kommandobrücke der
Oregon
gelümmelt. Obgleich das Leder des hohen Sessels rissig war, damit er genauso alt aussah wie der restliche Trampdampfer, hatte er ihn nach Maß anfertigen lassen, sodass er wahrscheinlich der bequemste Sessel auf dem ganzen Schiff war. Erwartungsgemäß benutzte jeder Wachoffizier den Platz in der Mitte des Operationszentrums. Doch dieser Sessel war ausschließlich für Cabrillo reserviert.
An Backbord ging die Sonne schnell unter. Es war eine dramatische Inszenierung von Farben und Licht, intensiviert durch den stratosphärischen Schleier aus Vulkanstaub, der von den Berggipfeln hoch oben im Norden auf der Halbinsel Kamtschatka aufwallte. Die Hitze des Tages hing im Raum. Die stählernen Wände waren immer noch warm, und der Bund von Juans Shorts war feucht vom Schweiß. Er trug kein Hemd und hatte nur Bootsschuhe an den Füßen. Bei der Geschwindigkeit, mit der die
Oregon
durchs Wasser jagte, hätte das Öffnen einer Tür einen Wirbelsturm in der Kommandobrücke ausgelöst, daher blieb es heiß und stickig in dem Raum.
Anstatt das Risiko einzugehen und das Ostchinesische Meer und das Japanische Meer zu durchqueren, wo der Schiffsverkehr genauso dicht war wie der Straßenverkehr während der Rushhour in Los Angeles, hatte er sich zu einem östlichen Kurs entschlossen, sobald sie die nördlichste Insel der Philippinen hinter sich hatten, und folgte nun der japanischen Pazifikküste. Schifffahrtslinien unterlagen strengen Regeln, daher brauchte er nicht zu befürchten, dass andere Schiffe Meldung von einem Seelenverkäufer machten, der mit über fünfzig Knoten durch die Weltgeschichte dampfte. Da ihre Radarabschirmung aktiv war, waren es Sichtmeldungen, die ihm die größten Sorgen bereiteten. In wenigen weiteren Stunden würden sie die Schiffsrouten nach Tokio überqueren, danach nähme dann der Verkehr schlagartig ab, und sie wären nicht mehr gezwungen, Autotransportern, Containerschiffen und den Dutzenden anderer Schiffe auszuweichen, die auf den Pazifik-Routen unterwegs waren.
Sie verloren zwar immer nur ein paar Minuten, wenn sie den
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