Todesfrist
Ordnung?«
»Ja, danke.« Sie räusperte sich. »Wie geht es dir?«
»Das fragst du nach drei Jahren?«, entgegnete er. Plötzlich klang er bedrückt. »Wie geht es dir?«
»Ich bin verheiratet.«
»Ich weiß, mit Staatsanwalt Berger. Ein Kotzbrocken, wenn du mich fragst. Er hat mich zu seiner morgigen Geburtstagsfeier eingeladen.«
»Warum kommst du dann, wenn du ihn zum Kotzen findest?«
»Weil ich dich sehen will.«
Helen biss sich auf die Lippe. Oh bitte, tu mir das nicht an.
»Ich verstehe nicht, wie du Berger heiraten konntest«, brach es im nächsten Moment aus ihm heraus.
Helen schnappte nach Luft. Das war typisch für Ben! Kaum entstand ein wenig Vertrautheit, zerstörte er das Gefühl im nächsten Augenblick.
»Auch wenn du Frank zum Kotzen findest, er war damals der Einzige, der mir geholfen hat.« Sie wollte nicht, dass es wie ein Vorwurf klang. Außerdem hatte sie es nicht nötig, sich bei Ben für ihre Ehe mit Frank zu entschuldigen.
»Ich weiß, es war ein ziemlicher Mist damals«, sagte er. »Sobald fremde Interessen im Spiel sind, wird es schmutzig. Aber das hast du gewusst. Es war dein Job, Täterprofile zu erstellen.«
»Darum bin ich ausgestiegen.«
»Hab ich gehört. Wie läuft deine Praxis?«
»Gut, danke.« Bis auf den Kontakt zu einem verrückten Entführer.
»Ich habe gehört, du hast ein Buch geschrieben.«
»Ja, vor zwei Jahren, über mein Fachgebiet.«
»Missbrauch und dissoziative Persönlichkeitsstörung bei Jugendlichen.«
»Richtig.« Dass er sich daran noch erinnern konnte! »Im Moment korrigiere ich die Endfassung für ein zweites Buch.« Doch die Arbeit an dem Thema konnte die Erinnerung an Flo nicht vertreiben.
Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen. »Ich muss jeden Tag an Flo denken, an seine Kulleraugen, seinen Stoffbären, den er ständig drehte und mit dem er um die Wette brummte …«
»Helen, bitte! Hör auf!«
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Hast du dir je überlegt, warum Winkler uns das angetan hat?«
»Jeden verdammten Tag«, antwortete er. »Willst du meine Meinung hören? Er war sich seiner Sache zu sicher. Er dachte nicht, dass du ihn überführen könntest. Er wollte sich an dir rächen und dir eine Lektion erteilen. Deshalb hat er sich für meinen Sohn entschieden.«
Ihre Magenkrämpfe sagten ihr, dass Ben recht hatte.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe es nicht so gemeint. Ich habe zu tun, wir sehen uns morgen Abend, okay?«
»Danke.« Sie legte auf.
Noch vierundzwanzig Stunden, rief sie sich in Erinnerung. Sie war einen Schritt weitergekommen. Mittlerweile glaubte sie den Grund für Franks Nervosität und Anspannung zu kennen. Bestimmt war er der anonyme Anrufer gewesen, der Anne Lehner gestern als vermisst gemeldet hatte.
Helen blickte zur Uhr. Es war kurz nach acht. In einer Stunde kam ihr erster Klient. Bis dahin hatte sie Zeit, etwas zu unternehmen. Sie wollte noch einmal Franks Arbeitszimmer durchsuchen. Aber diesmal gründlicher.
15
Gestern am späten Abend hatte Sabine den Saustall in ihrem Büro bereinigt, den Sneijder bei der Suche nach seiner Kassette hinterlassen hatte. Danach verbrachte sie die Nacht in der Wohnung ihrer Schwester. Eingezwängt zwischen Kerstin, Connie und Fiona im großen Doppelbett, fand sie mit einem leichten Beruhigungsmittel endlich ein paar Stunden Schlaf.
Um acht Uhr morgens machten Monika und sie Pfannkuchen. Während die Mädchen mit Marmelade, Sirup und Schokocreme hantierten, telefonierte Sabine mit Gabriel Zerny, Dr. Gaze, dem Exmann ihrer Schwester. Es gab keine guten Nachrichten. Ihr Vater saß seit mittlerweile vierundzwanzig Stunden in Untersuchungshaft. Im besten Fall drohte ihm eine Anklage wegen Falschaussage. Im schlimmsten Fall Beihilfe zum Mord, wenn nicht sogar eine Anklage wegen Mordes.
Sabine trank noch einen Kaffee, dann brachte sie die Mädchen zur Schule und in den Kindergarten und fuhr anschließend aufs Revier. Ein zäher, nicht enden wollender Tagdienst begann.
In ihrem Büro sah sie sich im zentralen Einsatzleitsystem die Arbeiten an, die sie erwarteten. Nachdem sie mit Kolonowicz telefoniert hatte, der Simon und sie zu einem Tankstellenüberfall schicken wollte, klopfte es an ihre Tür. Die Silhouette hinter der Milchglasscheibe war hager und glatzköpfig. Der Anblick verursachte ihr Magenschmerzen. Noch bevor sie »Herein« sagen konnte, betrat Sneijder das Büro. Er schloss die Tür und kam zu ihrem Schreibtisch. Das Struwwelpeter-Buch
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