Todesfrist
Sneijder. »Obwohl er seinen Opfern achtundvierzig Stunden Zeit lässt und Hinweise gibt, genießt er den Triumph, ihnen einen Schritt voraus zu sein.«
»Er weiß, dass ihn nichts von dem, was er uns zukommen lässt, entlarven oder ihm schaden könnte«, fiel Sabine spontan ein.
»Richtig. Er ist stolz darauf, schlauer als die Ermittler zu sein. Das Risiko, gefasst zu werden, erregt ihn. Narzissmus ist seine Achillesferse.« Sneijder fixierte sie. »Dort müssen wir ihn packen!«
Wir. Schon wieder. »Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte sie schließlich.
»Weil Sie eine Spur intelligenter sind als Ihre Kollegen. Weil Sie sogar mehr draufhaben als die Typen vom LKA, die Ihren Vater in die Mangel nehmen, als wäre er ein Schwerverbrecher. Ich musste ihm nur einmal ins Gesicht sehen, um zu erkennen, dass er niemanden umbringen könnte.«
Sabine traten Tränen in die Augen. »Dann helfen Sie ihm!«
»Das tue ich doch gerade! Warum glauben Sie, bin ich hier und serviere Ihnen alle Fakten des Falls?«
Sie wischte sich über die Wangen. »Wie kann ich Sie unterstützen?«
»Sagen Sie es mir!«
Oh Gott, wie sollte sie so schnell einen brauchbaren Gedanken aus dem Ärmel schütteln? Ihr Gehirn war blockiert. Seit sie den Autopsiebericht gelesen hatte, fragte sie sich, warum der Mörder das ausgerechnet ihrer Mutter angetan hatte. Sie schob die Tatortfotos zurück ins Buch. »Wählt dieser Psychopath beliebige Opfer aus oder bestimmte Frauen, die ins Schema seiner Geschichten passen?«
Sneijder blickte wieder auf die Armbanduhr. »Ich denke nicht, dass er die Frauen zufällig auswählt. Sie müssen etwas mit der Geschichte zu tun haben.«
Sabine dachte nach. Wenn es eine Verbindung gab, dann eher zwischen ihrer Mutter und der anderen Lehrerin als zu der Rechtsanwaltsgehilfin aus Köln. »Es muss einen Zusammenhang zwischen der Leipziger Lehrerin und meiner Mutter geben.«
Sneijder wehrte ab. »Danach habe ich bereits erfolglos gesucht. Bei einem Brand vor zehn Jahren in der Grundschule in Köln, an der Ihre Mutter früher Direktorin war, wurden alle Unterlagen vernichtet. Bei den neuen Unterlagen gibt es keine Parallelen zu Leipzig.«
Der mysteriöse Brand an der Kölner Grundschule. Sabine erinnerte sich mit einem dumpfen Gefühl daran. Die Ursache war nie aufgeklärt worden. Möglicherweise war ihr Vater daran beteiligt gewesen.
»Können Sie mir eine Kopie der Unterlagen der Leipziger Hauptschullehrerin zukommen lassen?«, bat sie.
Sneijder wiegte den Kopf hin und her. »Mir sind die Hände gebunden. Wegen Ihrer Alleingänge könnte Ihnen die Suspendierung drohen. Ich kann Sie nicht an den Ermittlungen beteiligen. Zumindest nicht offiziell.« Seine Formulierung ließ immer noch eine Hintertür offen.
»Es muss eine Verbindung geben – vielleicht finde ich sie«, drängte Sabine.
»Falls ja, habe ich mich nicht in Ihnen getäuscht.« Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung lächelte Sneijder, wenn auch nur für einen Augenblick.
Er stand auf, umrundete den Schreibtisch und zog die Tastatur heran. »Ich drucke Ihnen die Unterlagen aus.«
»Auf diesem PC funktioniert das nicht.«
»Wenn man die richtigen Passwörter kennt, Eichkätzchen, funktioniert es sogar über ein Handy.«
Er öffnete die Menüleiste, griff über das Polizei-Intranet auf seinen
PC zu, der im oberen Stockwerk am Netz hing, und schickte die elektronische Akte von Elfriede Nikitsch an Sabines Drucker.
Im nächsten Moment ratterten drei Dutzend eng beschriebene Seiten aus ihrem Laserdrucker.
Er ging hin und schob den Packen Papier zusammen. »In den Unterlagen finden Sie meine persönlichen Kommentare«, erklärte er. Erst danach reichte er ihr den Stapel.
»Das heißt wohl, dass ich die Daten für mich behalten soll.«
»Falls nicht, putzen Sie ab morgen die Herrentoiletten in der U-Bahn.«
»Wie großzügig.«
»Ich weiß, danke.« Er ging zur Tür. »Ich will nicht wissen, wie Sie es anstellen, eine Verbindung zu Ihrer Mutter herzustellen – für mich zählen nur Ergebnisse. Sie haben zwei Stunden Zeit, dann muss ich zum Flughafen.«
16
Der Schweiß lief Helen über den Nacken. Sie hatte Franks gesamtes Arbeitszimmer durchsucht. Sämtliche Mappen, Ordner, Notizblöcke, Briefe und sogar die Fotoalben durchgesehen, aber nichts gefunden. Sie hatte sogar seine Keramiksammlung in der Glasvitrine auf den Kopf gestellt, hinter die Gesetzestexte und die Bände der Brockhaus-Enzyklopädie gesehen und unter die schwere
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