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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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werden.«
    Dann streckte er die Hand nach Sabine aus und schnippte mit den Fingern. »Das Buch.«
    Durch und durch ein Gentleman! Sie holte das Struwwelpeter-Buch aus der Tasche, und gemeinsam blätterten sie durch die Geschichten. Bestimmt wirkten sie auf den Dresdner Kollegen wie zwei Vollidioten, doch das kümmerte Sneijder offensichtlich keinen Deut.
    Der Beamte trat mit gespielter Neugierde näher. »Ist das der neue Leitfaden des BKA?«
    Sneijder richtete sich auf. »Versuchen Sie in meiner Gegenwart nie wieder, lustig zu sein, verstanden? Dann können Sie vielleicht etwas lernen.« Sein Blick verfinsterte sich. »Was sagt uns das, wenn im ersten Akt eines Theaterstücks ein Gewehr auf der Bühne hängt? Richtig, dass später damit geschossen wird!« Er nickte zur Schachtel. »Nach diesem Prinzip verfolgen wir eine Spur. Und jetzt kümmern Sie sich um die Fingerabdrücke!«
    Sabine hatte keine Ahnung, was der Vergleich mit der Theaterbühne sollte. Vermutlich die Erkenntnis, dass Hinweise wie Struwwelpeters Geschenke nicht grundlos und zufällig am Tatort auftauchten.

    Der Beamte griff nach seinem Handy, und Sabine sah an seinem Gesichtsausdruck, was er dachte. Wenigstens blieb ihr als Trost, dass Sneijder nicht nur sie so schäbig behandelte, sondern auch alle anderen.
    Sie schlug die Doppelseite der nächsten Geschichte auf. Das war es! Sie deutete auf die Bilder. »Brille und Löffel!«
    Vater Hase entwendete dem schlafenden Jäger Brille und Schießgewehr. Als der Hase im nächsten Bild mit dem Gewehr auf den Jäger zielte, saß die Brille auf seiner Nase. Während der Jäger kurz darauf in den Brunnen stürzte, tanzte das kleine Hasenkind fröhlich mit einem Löffel in der Pfote um den Brunnen. Dabei verbrühte es sich, da ihm der heiße Kaffee aus der Nase lief.
    »Also Die Geschichte vom wilden Jäger.« Sneijder wandte sich von dem Buch ab und blickte aus dem Fenster. Einige Kilometer weiter nördlich lag die Dresdner Innenstadt. »›Da kommt der wilde Jägersmann, zuletzt beim tiefen Brünnchen an. Er springt hinein, die Not war groß, es schießt der Has die Flinte los‹«, zitierte er gedankenverloren. Er riss sich vom Anblick der Stadt los und sah Sabine an. »Ihre Leiche liegt in einem Brunnenschacht.« Dann wandte er sich an den Beamten, der soeben sein Telefonat beendete. »Wie heißen Sie?«
    »Frick.«
    »Gut. Hören Sie mir jetzt genau zu, Frick. Ich hoffe, das übersteigt nicht Ihre Fähigkeiten. Ihre Kollegen sollen in den Gruften und Katakomben aller Kirchen, Dome und Kathedralen der Stadt nach einer weiblichen Leiche suchen … sofort!«, fügte Sneijder hinzu, nachdem Frick ihn immer noch fragend anstarrte.
    »Wir sind zwar flexibel, aber das dauert«, sagte Frick.
    »Bei Ihnen heißt flexibel wohl entscheidungsschwach?«, entgegnete Sneijder.
    Sabine wollte sich diese Demütigungen nicht länger anhören, also ging sie dazwischen. »Ihre Kollegen sollten sich vorrangig jene Kirchen vornehmen, wo sich ein Brunnenschacht auf dem Gelände befindet.«

    »Was bringt das?«
    »Vervloekt!«, schnaubte Sneijder. »Das machen wir aus Wichtigtuerei!«
    »Bitte!« Sabine warf ihm einen strengen Blick zu. »Brunnenschacht – ganz wichtig«, sagte sie zu Frick.
    »Nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche machten wir mit der Schulklasse eine Exkursion dorthin«, erklärte Frick. »Unter den Gruftkammern gibt es einen alten Wasserschacht.«
    Aus dem Augenwinkel sah Sabine, wie Sneijder hellhörig wurde. »Spielt der Organist bei den Messen Stücke von Bach?«, fragte er.
    Frick hob die Schultern. »Möglich. Ich interessiere mich nicht für die katholische Kirche.«
    »Sollten Sie aber«, fiel Sneijder ihm ins Wort. »Dann wüssten Sie, dass dieses Gebäude ein evangelisch-lutherischer Dom ist.«
    »Nehmen Sie sich diese Kirche zuerst vor«, bat Sabine. »Und finden Sie bitte heraus, ob dort Bach gespielt wird.«
    Frick warf Sneijder einen vorsichtigen Blick zu. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
    Er nickte. »Gibt es in der Innenstadt eine Haital-Buchhandlung?«
     
    Jede Stadt glich einem Lebewesen. Sie hatte ein Gesicht, ein Zentrum, Arme und Beine, wodurch sie ihr spezielles Flair erhielt, ihren Rhythmus, Geruch und ihre eigene Seele.
    Sabine hatte Dresden immer mit der Semperoper in Verbindung gebracht und die Stadt als Heimat vieler Chöre, berühmter Orchester und Dutzender Museen gesehen. Doch diese Verknappung wurde Dresden nicht gerecht. Der barocke Kern mit den verspielten Gebäuden,

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