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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zahlreichen Brunnen, Brücken, Denkmälern, Türmen und Skulpturen wirkte wie die Kulisse eines orientalischen Märchens. Dazu kamen die Bauten am Ufer der Elbe, durch die im lauen Frühlingswind ein mediterraner Eindruck entstand. Sabine verbrachte ihre Urlaube meistens mit Mountainbiken in Berchtesgaden oder in einem Bungalow an der Nordsee. Obwohl sie schon oft durch Deutschland gereist war, blieben viele
schöne Städte, die sie noch nicht besucht hatte. Sie wäre gern mehrere Tage hier geblieben. Ein anderes Mal vielleicht.
    Sie schlängelte sich hinter Sneijder über den Platz vor dem Dresdner Dom, zwischen Trauben von Touristen hindurch. Der Grundstock der Kirche wirkte wie eine massive ockergelbe Kaserne, aus deren Mitte die mächtige Kuppel in den Himmel wuchs, umgeben von Türmchen, Spitzdächern, Erkern und Fenstern. Frick lief soeben durch das Portal ins Freie.
    »Wenn ich ihn so sehe, frage ich mich, ob er die Lösung hat oder ein Teil des Problems ist«, raunte Sneijder ihr zu.
    »Reißen Sie sich zusammen!«, mahnte Sabine.
    Der Beamte blieb keuchend vor ihnen stehen. »Hier wird tatsächlich der Bach-Zyklus gespielt. Und Sie werden es nicht glauben – unten im Wasserschacht liegt eine Leiche.«
    »Ich glaube es.« Sneijder blickte zu den Kripoermittlern, die neben einem Pfarrer und einigen Kerlen mit Fotoapparaten standen. »Warum sind die Reporter schon hier?«
    Frick sah sich demonstrativ um. »Bei dem Polizeiaufgebot! Wie hätten wir das verheimlichen sollen?«
    Sabine kam die Sache merkwürdig vor, doch offenbar gab es nicht nur in München Leute, die Infos an die Presse verkauften.
    »Frick, ich mag keine Menschenansammlungen. Halten Sie mir den Pfaffen und die Presseheinis vom Leib.« Sneijder ging auf den Eingang zu.
    Sabine folgte ihm. »Halten Sie mir die Leute vom Leib!«, äffte sie seinen herrischen Ton nach, als Frick außer Hörweite war.
    Sneijder würdigte sie keines Blickes. »Ich funktioniere nur, wenn nicht zu viele Leute um mich herum sind, die mir den Sauerstoff rauben. Im Flugzeug, im Bus und im Meeting bekomme ich Kopfschmerzen.«
    Bestimmt freute er sich schon auf den engen Wasserschacht unter der Kirche. »Vielen Dank, dass Sie sich mir gegenüber so öffnen«, sagte sie. »Jetzt weiß ich endlich, warum Sie jedes Gespräch auf drei Sätze verknappen.«

    Er antwortete nicht.
    Sie betraten die Kirche durch das verhältnismäßig kleine Portal. Das Innere des Doms war ein einziger riesiger Saal, der bis in die gewaltige Kuppel und den darüberliegenden Turm hinaufreichte, durch den das Licht der untergehenden Sonne fiel. Auf den zahlreichen Ebenen, die sich wie Hoteletagen nach oben erstreckten, liefen Menschen, die das Innere der Kirche fotografierten. Hoch über dem goldenen Altar thronten die silbernen Orgelpfeifen. Die steinerne Kälte, die von dem Bauwerk ausging, ließ Sabine frösteln. Gegen diesen Koloss wirkte der Münchner Dom wie eine niedliche Dorfkirche.
    Ein Polizeibeamter deutete in ihre Richtung, woraufhin ihnen ein kleiner, dicker Pater mit Soutane und Krötengesicht entgegeneilte. »Sind Sie die Herrschaften aus München?« Sogar seine Stimme klang wie das Quäken einer Kröte.
    Sneijder nickte, und der Priester bedeutete ihnen stumm, ihm zu folgen.
    »Ich hoffe, der Pfaffe hat dort unten nichts mit seinen Wurstfingern angefasst«, raunte Sneijder sich selbst zu.
    Sabine gab keinen Kommentar mehr ab. Sie folgten dem Mann über eine Treppe in die Unterkirche. Hier war es noch kälter. Die niedrige Gewölbedecke erstreckte sich über mehrere Räume mit Säulen und Rundbögen aus gelben Ziegeln. Aus den Nischen ragten alte Holzsärge. Dies musste die Gruftkammer sein. Sabine hielt nach einem Brunnenschacht Ausschau, konnte aber keinen finden.
    »Die Chorkapelle liegt direkt unter dem Altarraum«, erklärte der Geistliche.
    »Wie interessant«, antwortete Sneijder.
    Sie gelangten zu einer aufgebrochenen Holztür, hinter der eine schmale Wendeltreppe weiter nach unten führte.
    »Normalerweise ist der Zugang in die alte Gruft abgesperrt«, erklärte der Pfarrer.
    »Die gleichen Brechstangenspuren wie in München«, bemerkte Sneijder. Er zog den Kopf ein und folgte dem Mann.

    Sabine passte genau unter dem Türrahmen durch. Zwei Stockwerke tiefer, aber gefühlte zwanzig Meter unter der Erde, kamen sie endlich in die Krypta. Hier unten konnte man jemanden monatelang gefangen halten, ohne dass es bemerkt wurde. Auf dem Boden lag der Kabelsalat der Kripotechniker.

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