Todesfrist
»Sobald Sie die richtige Antwort kennen, besprechen Sie damit den Ansagetext Ihrer Mobilbox. Ich werde Sie das erste Mal um
10.00 Uhr und danach zu jeder vollen Stunde anrufen und mir den Ansagetext anhören.«
»Für diesen Text habe ich nur dreißig Sekunden Zeit«, protestierte sie.
»Dann fassen Sie sich kurz.« Er legte auf.
Sie starrte wie paralysiert auf das Display des Telefons. Sie hatte bis 17.00 Uhr Zeit. Um zehn würde Anne Lehner den nächsten Finger verlieren. Sie sollte ihr Handy abschalten, doch zuvor musste sie noch einen wichtigen Anruf tätigen. Sie brauchte Gewissheit! Vom Festnetz im Haus durfte sie nicht telefonieren, denn Frank könnte das Gespräch mithören.
Rasch wählte sie Ben Kohlers Nummer. Hoffentlich versuchte der Entführer sie nicht in den nächsten Minuten zu testen, um festzustellen, dass sich die Mobilbox erst nach dem zehnten Läuten aktivierte.
»Kohler!«, meldete er sich. »Ah, Helen, was gibt’s?«
Gott sei Dank war er schon im Büro. »Morgen, Ben …«
In diesem Moment rollten zwei Lieferwagen die Straße entlang und hielten vor ihrem Grundstück. Partyservice Herzog stand in blauen Lettern an der Seitenwand. Der erste Wagen blinkte, stand aber noch unschlüssig auf dem Forstweg, als überlegte der Fahrer, ob das die richtige Anschrift war und er auf das Grundstück einbiegen sollte.
»Helen?«, fragte Ben. »Falls du wegen der Party heute Abend anrufst … Ich habe im Moment viel um die Ohren, aber ich werde auf jeden Fall kurz vorbeikommen.«
»Danke, nett von dir, aber ich rufe aus einem anderen Grund an.«
Im nächsten Moment hörte sie das Tocken der Anklopffunktion ihres Handys. Ihr Herz begann zu rasen. Jemand versuchte, sie zu erreichen!
Sie sprang auf und lief auf die Wiese. Hinter der Scheibe der Fahrerkabine des ersten Lieferwagens sah sie, wie der Fahrer ein Telefon ans Ohr hielt. Hoffentlich war er es, der anrief.
»Ich melde mich noch mal wegen Anne Lehner.« Helen winkte dem Fahrer. Er bemerkte sie, und sie bedeutete ihm, aufs Grundstück zu fahren.
»Wir haben sie immer noch nicht gefunden.«
Ben, ich weiß!
Der Fahrer nahm das Telefon herunter, das Anklopfzeichen verstummte.
»Ich dachte, sie heißt Anne Lehner und arbeitet in einer Apotheke, zumindest hat sie das behauptet«, sagte Helen. »Gestern habe ich erfahren, dass sie Anne-Rose heißt und Psychotherapeutin ist.«
»Stimmt, seit Kurzem wissen wir das auch«, murmelte Ben. »Die Mordgruppe hat mit diesem Fall zwar nichts zu tun, aber nach unserem gestrigen Gespräch habe ich mich bei den Kollegen nach dieser Frau erkundigt.«
Die beiden Lieferwagen hielten hintereinander vor dem Carport. Helen signalisierte dem Fahrer, ein Stück weiter links zu parken, damit sie mit ihrem Toyota vorbeifahren konnte.
Dusty sprang fröhlich zwischen den Autos herum. Helen stieß einen Pfiff aus, und der Jack-Russell-Terrier sauste zu ihr. »Schön dableiben«, flüsterte sie.
»Sag mal, was ist bei dir eigentlich los?«
»Partyvorbereitungen«, antwortete sie knapp. »Was weißt du über die Frau?«
»Ihr tatsächlicher Name ist Anne-Rose Lehner. Sie ist seit mehreren Jahren geschieden. Ihre Praxis als Psychotherapeutin führt sie jedoch seit zwölf Jahren unter ihrem Mädchennamen.«
»Moment mal!«, unterbrach Helen ihn. »Sie hätte ihre Namensänderung dem Gesundheitsministerium und dem Psychotherapie-Verband melden müssen.«
»Hat sie nicht«, antwortete Ben. »Vermutlich hat sie den Namen ihrer Praxis aus Sicherheitsgründen nie geändert.«
Helen dachte an das Therapieschild in der Bachallee, an dem sie gestern vorbeigefahren war. »Lautet ihr Mädchenname Harmann?«
»Ja, Anne Lehner und Rose Harmann sind ein und dieselbe Person.«
Ich wusste es. Anne Lehner, du miese Schlampe! Helen kochte vor Wut. Die arme, kranke Apothekengehilfin, die eine Chemotherapie hinter sich hatte und eine Perücke tragen musste, hatte ihr vorgespielt, sie wäre zuvor bei einer Logotherapeutin gewesen, die ihre Praxis in derselben Straße führte. Nämlich bei sich selbst! Oh, Gott! Endlich blickte Helen in dieser verworrenen Sache durch.
»Sonst noch was?«, fragte er. »Ich habe leider wenig Zeit. Das BKA Wiesbaden hat Kontakt zu uns aufgenommen. Ich muss gleich zu einer Besprechung.«
Trotz der Anspannung und dem Chaos um sie herum war sie froh, Bens Stimme zu hören, wenn auch nur für kurze Zeit. Obwohl sie ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte und jedes Mal Schuldgefühle bekam, wenn
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