Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
ratlos mit den Schultern. Es war eine Sache, die Machart der Briefe genau zu beschreiben, daraus aber Vermutungen über die Persönlichkeit des Absenders abzuleiten, kam ihr reichlich spekulativ vor. Otto war jetzt in seinem Element, er zog einen Pfeil von der Klammer zur Täter-Spalte.
„Zur Wortwahl haben wir doch gesagt, dass sie schwülstig, aber auch variationsreich ist. Unser Täter ist sehr emotional und er ist gebildet.“
Gerda nickte, das leuchtete ihr ein. „Die akribisch ausgeschnittenen Worte und Buchstaben könnten darauf hindeuten, dass es sich um einen sehr sorgfältigen Menschen handelt. Meinst du nicht, Otto?“
„Genau und außerdem zeigen sie uns, dass der Täter oder die Täterin sich viel Zeit genommen hat, um die Briefe herzustellen. Da hat jemand die Vorbereitung richtig ausgekostet. Sie ist ein Teil des Spiels.“
Gerda runzelte die Stirn. „Also wie ein Spiel sieht mir da s ehrlich gesagt nicht aus. Wellenstein hat angedeutet, dass er einen Zusammenhang sieht zwischen den Briefen und den Mordanschlägen in seinem Umfeld.“
„In jedem Fall ist der Täter sehr berechnend. Lass uns doch noch einmal die Texte durchgehen und nach Hinweisen zu den Attentaten suchen.“
„ Gute Idee und wir sollten auch die Rufmord-Versuche nicht außer Acht lassen. Immerhin wurde die Musikschule, die nach Wellenstein benannt werden sollte, beschmiert und die Konzertplakate mit seinem Foto wurden ziemlich schlimm verunstaltet. Hast du die gesehen? Wenn du mich fragst, sind die allein schon eine Morddrohung.“
Gerda und Otto vertieften sich wieder in die Lektüre der Briefe und waren sich anschließend einig, das s jeder Brief für sich genommen vage Andeutungen enthalte, die den Angriff auf Wellenstein oder die Personen in seinem Umfeld verschlüsselt ankündigten. Allerdings erklärten sich diese Umschreibungen erst aus der Rückschau. Mit den Briefen allein wäre keine zuverlässige Aussage über die einzelnen Anschläge möglich gewesen.
„Otto, ich glaube, unser Täter hatte nicht die Absicht, eine Warnung zu versenden. Er wollte nur, dass Wellenstein Angst bekam und er wollte auch, dass er nicht wusste, wovor.“
„Du könntest Recht haben. Erst im Nachhinein sollte Wellenstein sich einen Reim auf den Brief machen. Das ist ganz schön durchtrieben.“
„Ja, das finde ich auch. Das heißt nämlich, dass er jeweils beim nächsten Brief in absolute Panik verfallen musste, weil er nicht wissen konnte, welcher Person aus seiner Familie der nächste Schlag gelten würde. Wenn das erste Attentat der Mord an der eigenen Mutter ist, dann kann man sich doch fast keine Steigerung des Grauens mehr vorstellen.“
„ Gerda, was mich nur wundert ist, dass Wellenstein trotz dieser Brief-Geschichte so tut, als sei nichts geschehen. Das Festprogramm am Sonntag hat er absolviert, als ob alles in Ordnung sei. Dabei musste er da die Hosen doch schon gestrichen voll gehabt haben.“
„Das finde ich jetzt ehrlich gesagt auch seltsam. Und stell dir vor, für morgen hat er uns sogar zu seiner Geburtstagsparty eingeladen.“
Otto war sprachlos. „Sehe ich das richtig, gestern wurde ein Mordanschlag auf Wellensteins Frau nur deshalb vereitelt, weil versehentlich die Putzfrau dran glauben musste, morgen früh wird Frau Wellenstein Senior zu Grabe getragen und am Abend gibt der Ma estro eine Geburtstagseinladung? Ist das zu glauben? Das kann er doch nicht machen!“
„Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll, Otto .“
„Vielleicht müssen wir aber auch einfach mal in eine andere Richtung denken.“
Gerda sah ihren Mann neugierig an. „Es könnte doch auch sein, Gerda, dass die Todesfälle den Dirigenten gar nicht so mitnehmen, wie er vorgibt. Was würde Mordanschläge besser erklären als irgendwelche unverständlichen Drohbriefe? Jeder schaut nur auf den armen leidenden Wellenstein, beklagt mit ihm die Verluste im persönlichen Umfeld und die Frage, welches Interesse der große W. denn selbst am Tod seiner Angehörigen haben könnte, verbietet sich selbstverständlich für jeden feinfühligen Zeitgenossen. Was wissen wir denn eigentlich über diesen Wellenstein? In jedem Fall wissen wir, dass er noch einen Bruder hat und der gehört jetzt wohl zu dem Kreis der besonders gefährdeten Personen.“
Gerda saß da wie vom Donner gerührt. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, Otto. Der Mann, der mir heute Vormittag die Briefe gebracht hat, war am Boden zerstört. So etwas kann man
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