Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
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Freitagabend / Verdächtige
„Mein lieber Scholli, Georg, da hast du aber nicht zu viel versprochen!“ Der Hauptkommissar hatte Gerda und Otto gestern Abend noch angeboten, sie abzuholen, um gemeinsam zu Wellensteins Geburtstagseinladung zu gehen. Jetzt saß Otto auf dem Beifahrersitz und quittierte das sonore Motorengeräusch und die satte Beschleunigung mit Anerkennung. Georg freute sich über das Lob, als ob es ihm persönlich gelten würde. Seit der Ascona Herrn Eberts Zauberwerkstatt verlassen hatte, spürte er, dass er eine neue Bindung zu seinem PKW aufgebaut hatte. War ihr Zusammenleben bislang ein reines Zweckbündnis, auf Zeit geschlossen und mit deutlichen Hinweisen, dass diese sich in naher Zukunft dem Ende neigen würde, so glaubte er jetzt wieder an ein bis dass der Tod uns scheidet . Er spürte, dass der alte Opel und er von nun an ein Team waren, das bereit war, es mit den Mächten des Bösen aufzunehmen. Um den Friseur, der ihm immer neue Fragen zu seinem Wagen stellte, zu beeindrucken, fuhr Georg rasanter als erlaubt und parkte den Wagen schwungvoll vor dem Haus des Dirigenten. Das Feuer im Carport hatte einen ziemlichen Schaden hinterlassen und die verkohlten Überreste waren mit einem Sichtschutz verdeckt.
Jetzt unterbrach Gerda die automobile Fachsimpelei der Männer. „Schorsch, du hast uns doch abgeholt, damit wir unseren Plan noch einmal durchgehen können. Jetzt wäre dann wohl die letzte Möglichkeit dazu.“ Die Männer drehten sich wie ertappte Schuljungen zu ihr um. „Sie haben Recht, aber eigentlich ist das Wichtigste bereits gesagt. Sie halten die Augen offen, besonders Wellenstein sollten wir im Blick behalten. Wenn Ihnen irgendetwas verdächtig vorkommt, dann informieren Sie mich bitte sofort.“ Gerda und Otto nickten.
Wellenstein wollte keinen offiziellen Polizeischutz und der Hauptkommissar hatte nicht darauf bestanden. Da die letzten Morde erst nach brieflicher Ankündigung verübt worden waren und bislang kein weiterer Brief aufgetaucht war, bestand für Wellenstein derzeit keine akute Gefahr. Dem Dirigenten war nur wichtig gewesen, das Ehepaar König in seiner Nähe zu wissen.
Gerda und die beiden Männer betraten das großzügige Anwesen; es waren bereits viele Gäste da, die sich leise unterhielten. Im Hintergrund hörte man gedämpfte Musik. Ein rauschendes Fest sah anders aus. Keiner der Gäste hätte es Wellenstein verübelt, wenn er die Einladung abgesagt hätte. Der Dirigent war allerdings der festen Überzeugung, dass man so ein Fest nicht in letzter Sekunde verschieben durfte. Und so hatte sich hier die Kleinstadt-Prominenz ebenso versammelt wie große Namen aus Kultur und Politik, Wellensteins alte Weggefährten. Jeder schien über die Todesfälle im Umfeld des Gastgebers im Bilde zu sein; man konnte das Unbehagen fast mit Händen greifen, aber niemand sprach darüber. Alle bemühten sich um einen belanglosen Plauderton und nur Gerda merkte, dass immer wieder Gäste verstohlen auf die Uhr blickten. Auch wenn das Festprogramm deutlich abgespeckt worden war, musste Gerda einige Reden über sich ergehen lassen. Sie nutzte die Gelegenheit, um die Zuhörer zu beobachten und beugte sich nach einer Weile zu ihrem Mann herüber. „Schau mal, Wellensteins Bruder scheint überhaupt keine Lust auf die Party zu haben. Der steht da und zieht vielleicht eine Miene.“
„Kann ich verstehen, immerhin war heute Morgen die Beerdigung seiner Mutter und da passt eine Geburtstagseinladung am Abend einfach nicht dazu.“
„Ich finde es auch nicht in Ordnung. Aber wenn man herkommt, dann weiß man auch, worauf man sich eingelassen hat. Immerhin hätte Ansgar Wellenstein auch zu Hause bleiben können. Mit seiner schwarzen Trauerkleidung will er wohl den moralischen Zeigefinger heben.“
Der Redner hatte seine kleine Lobeshymne auf Wellenstein beendet und dieser bedankte sich überschwänglich bei ihm. Während des Beifalls konnte Otto wieder ein bisschen lauter sprechen. „Offensichtlich hat der Apotheker aber mehr Feingefühl als sein Bruder. So wie Ansgar ihn eben angesehen hat, scheint er nicht besonders viel von ihm zu halten.“
„ Er hat es auch nicht immer leicht gehabt mit seinem großen Bruder. Denk doch mal an die Katastrophe mit seiner Stimme. Ich glaube, von diesem Vorfall hat er sich nie wieder richtig erholt. Der hat einfach einen Knacks weg.“
Die Gäste hatten schon mehrfach auf Wellenstein angestoßen und die Stimmung hatte sich spürbar entspannt.
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