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Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Titel: Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wierlemann
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offensichtlich war, dass der Dirigent bereits im vorgerückten Alter war, so wunderte sich Gerda doch, bei den Kosmetikartikeln auch eine Gebisshaftcreme und Reinigungstabletten zu finden. Wie Wellenstein wohl ohne Zähne aussah? Gerda musste kichern. Der große Wellenstein war eben auch kein junger Gott mehr, sondern bei ihm bröckelte schon ganz schön der Lack, dachte sie. Allerdings schien der Mann wenigstens etwas gegen den körperlichen Verfall zu tun, wie eine Anti-Faltencreme und eine Schachtel Viagra verrieten. Gerda wunderte sich über die Tabletten, denn der Maestro schien in Sachen Frauen doch ruhiger geworden zu sein. Der alte Herr hatte sich an diesem Wochenende offensichtlich einiges vorgenommen. Oder gehörten die Potenz-Pillen vielleicht zur Standard-Ausrüstung des Dirigenten, wenn er unterwegs war? Nachdem Gerda unfreiwillig die Geheimnisse des Wellensteinschen Necessaires erkundet hatte, fand sie endlich auch das Gesuchte. Erleichtert verließ sie das Zimmer des Dirigenten und legte die Noten noch in ihrem Zimmer ab, bevor sie wieder nach unten ging. Sie nahm sich fest vor, Ansgar Wellenstein jetzt nicht mehr aus den Augen zu lassen.
    Die Tischrunde hatte sich bereits aufgelöst und die Zeit bis zur nächsten Probe verbrachten die Sänger mit einem kleinen Mittagsschläfchen oder einem Gang durch den schön angelegten Klostergarten. Wellenstein wollte sich ein wenig zurückziehen. Er gestand Gerda, dass er gestern Abend noch das eine oder andere Gläschen Rotwein getrunken hatte, um schlafen zu können und dass er deshalb heute ein wenig unter den Spätfolgen zu leiden hatte. Gerda war es auch ganz recht, ein wenig abschalten zu können. Wellenstein ruhte sich in seinem Zimmer aus und Gerda nahm davor in dem Liegestuhl auf dem Balkon Platz. So konnte sie sicher sein, dass Wellenstein in Ruhe würde schlafen können.
    Während der Probe konnte Gerda von ihrem Platz aus Ansgar Wellenstein beobachten. Der Bruder des Dirigenten verhielt sich wie immer und nichts deutete darauf hin, dass er heute Vormittag die entwendeten Noten zerfleddert und beschmiert in das Zimmer seines Bruders geschmissen hatte. Konnte es sein, dass Ansgar seinen Bruder nicht aus dem Blick ließ, dass er ihn permanent anstarrte? Suchte er in seinem Gesicht vielleicht Spuren des Entsetzens über die Notenzerstörung?
    Gerda war sich nicht sicher. Jeder Sänger sollte den Dirigenten schließlich im Auge behalten und nicht mit der Nase in den Noten kleben, wie Hensler es immer umschrieb. Das war das A und O bei einem Konzert, ohne den Blick auf den Dirigenten lief gar nichts. Gerda atmete tief durch und nahm sich fest vor, sich von ihrer Fantasie nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Sie würde sich an die Fakten halten, dann würde schon alles gutgehen.
    So wie zu jedem Chorwochenende ein klarer Ablauf der Proben gehörte, so wurde dieses Programm komplettiert durch einen kulinarischen Kanon, der die gleiche Aufmerksamkeit der Teilnehmer forderte wie der musikalische Part. Wellenstein hatte die Probe noch nicht beendet, als es an der Tür klopfte und die Hausverwalterin hereinschaute. „So, mein lieber Herr Wellenstein, jetzt haben Ihre Sänger sich genug geplagt, jetzt machen Sie mal Schluss. Der Kaffee ist fertig und der Kuchen sieht ganz wunderbar aus.“
    Wellenstein war es nicht gewohnt, dass man ihm auf dem Dirigentenpult Anweisungen gab und wäre der Ort ein anderer gewesen, dann hätte diese Störung empfindliche Konsequenzen nach sich gezogen. Aber sie waren im Exerzitien haus „Unserer lieben Frau“ und da galten andere Regeln. Wellenstein nickte höflich und versprach der Nonne, seine Sänger gleich zu entlassen. Die waren hocherfreut über die Unterbrechung, die sie insgeheim bereits herbeigesehnt hatten. Auch wenn die Nonne nicht die Erscheinung einer lieben Frau hatte, sondern eher eine „Schwester Rabiata“ war, kam sie den Sängern der Kantorei wie eine göttliche Erscheinung vor, die ihnen nach dem Gang durch die Wüste baldige Labsal versprach.
    Im Speisesaal duftete der Kaffee und Esther Wellenstein empfing die Sänger, die sie fast alle noch persönlich kannte. Seit Wellenstein die Kantorei ins Leben gerufen hatte, war es eine Tradition, dass die Frau des Dirigenten zur ersten Kaffeepause mit selbstgebackenem Kuchen vorbeikam. Weil diese Woche zu turbulent war, hatte Esther die Kuchen zwar in der Bäckerei bestellt, aber das tat der freudigen Aufnahme durch die Kantorei keinen Abbruch.
    Gerda wusste, dass

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