Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
verfolgte angespannt die Darbietung des Apothekers, der zwar über eine schöne Tenorstimme verfügte, aber keine Kraft mehr hatte, sie zu kontrollieren. Wellensteins Bruder versagte die Stimme erneut und der Dirigent verhöhnte ihn vor allen. Ansgar Wellenstein schluckte die Demütigung herunter, stand auf und setzte sich zu den trinkfesteren Chor-Kollegen an die Bar. Wellenstein merkte, dass er zu weit gegangen war. Doch statt sich zu entschuldigen, griff er nach der großen Glocke, die über dem Tresen hing und gab eine Lokalrunde aus. Jeder ließ sich gern erneut einschenken und die Gespräche erfüllten wieder den Raum.
Nachdem die ersten Chor-Mäuschen sich zur Nachtruhe verabschiedet hatten, wartete Gerda noch ab, bis das breite Mittelfeld sich zurückzog und gab Wellenstein dann das Zeichen, dass es Zeit war. Gemeinsam gingen sie nach oben, jeder verschwand in seinem Zimmer. Kurze Zeit später klopfte Gerda an Wellensteins Balkontür und Georg öffnete ihr. „So, dann kann es losgehen“, sagte sie und breitete ihre „Waffensammlung“ auf Wellensteins Bett aus. Georg warf einen Blick auf das Elektroschock-Gerät und diverse Selbstverteidigungssprays. „Ich weiß nicht, ob du die Dinge wirklich einsetzen kannst, es ist aber auf alle Fälle nicht schlecht, sie griffbereit zu haben.“
Wellenstein kam im Pyjama aus dem Badezimmer und wusste nicht so recht , wie er sich in diesem Aufzug in Gegenwart von Gerda verhalten sollte. Georg ließ jedoch keine peinliche Pause entstehen, denn sie hatten einen strikten Plan, dem sie folgen mussten. „Herr Wellenstein, dann möchte ich Sie bitten, gleich in Position zu gehen. Bist du bereit, Gerda?“ Die Friseurin nickte und kroch unter das Bett. Der Hauptkommissar kniete sich neben das Bett und korrigierte Gerdas Position, bis sie richtig lag. „Gut so, Gerda, jetzt hast du den richtigen Abstand von der Bettkante. Ich warte drüben in deinem Zimmer. Du gibst mir sofort Bescheid, wenn ich kommen soll. Dein Mikro ist noch an?“ Gerda gab ihm ein Okay-Zeichen und wusste, dass es jetzt richtig gefährlich werden konnte. Georg stand auf und schlich über den Balkon leise ins Zimmer nebenan. Gerda war klar, dass sie sich nicht unterhalten durften und so blieb ihr nichts anderes übrig, als im Dunkeln auf dem Boden unter Wellensteins Bett zu liegen und zu warten, was geschah. Wenn einer ihrer Verdächtigen am Probenwochenende zuschlagen wollte, dann wäre die geöffnete Balkontür die perfekte Einladung zu einem Verbrechen. Einen besseren Zugang zu Wellenstein als über den gemeinsamen Balkon schien es nicht zu geben.
Gerda hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie wusste nicht , ob sie erst eine Viertelstunde hier lag oder ob schon Stunden vergangen waren. Wellenstein bewegte sich nicht. Wahrscheinlich lag er vor Schreck ganz starr im Bett. Gerda konnte sich nicht vorstellen, dass der Dirigent eingeschlafen war. Hoffentlich gelang es ihnen, den Täter rechtzeitig zu stellen. Wellenstein durfte nur nicht die Nerven verlieren, sonst war alles umsonst.
Gerda musste an Otto denken. Ob sein Herrenabend bereits zu Ende war oder ob ihn die fröhliche Runde vielleicht doch so abgelenkt hatte, dass er seinen Vorsatz über Bord geworfen und die Nacht zum Tag gemacht hatte? Sie wünschte sich, dass er jetzt hier wäre, ihr Otto. Sie sehnte sich danach, jemanden an ihrer Seite zu haben, um das, was vor ihr lag, gemeinsam durchzustehen. Keine Frage, diese Aktion war eine deutliche Spur härter als ihr letzter Fall. Als damals alles vorbei war, hatten Gerda und Otto sich freigenommen und waren fünf Tage an den Gardasee gefahren, um sich zu erholen. So ein Kurzurlaub würde dieses Mal allerdings nicht reichen, dachte sich Gerda in ihrem Versteck. Wenn sie dieses Abenteuer heil überstehen würde, dann waren danach mindestens zwei Wochen Karibik fällig, aber all inclusive!
Gerda zuckte zusammen. Was war das für ein Geräusch? War da jemand auf dem Balkon? Ihr Puls beschleunigte sich und sie musste sich zusammenreißen, damit sie ruhig weiteratmete. Gerda wartete ab, was geschah und lauschte in die Nacht. Es rumpelte auf dem Balkon, als ob jemand gegen einen der Liegestühle gelaufen wäre. Gerda atmete auf, so poltert niemand, der einen Mord begehen will. Vielleicht war da jemand noch eine rauchen gegangen vor dem Schlafengehen. Doch jetzt hörte sie, dass die tapsenden Schritte näher gekommen waren und dass sich jemand am Vorhang der Balkontür zu schaffen machte. Gerda hielt
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