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Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Titel: Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wierlemann
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einzutreten. In froher Erwartung dessen, was die Küche aus den Gaben der Klostergärten und -ställe zauberte, nahmen die Chormitglieder auch hin, dass sie vor dem Beginn des Essens eine Tisch-Andacht über sich ergehen lassen mussten.
    Gerda setzte sich neben Wellenstein und sobald es erlaubt war, sich den weltlichen Genüssen zuzuwenden, zeigte dieser sich als überaus beflissener Tischherr. Als ob er noch nie etwas von seinen Drohbriefen gehört hätte, plauderte er angeregt mit Gerda und seinen anderen Tischnachbarn. Gerda allerdings konnte vor lauter Anspannung fast nichts von dem feinen Ragout essen, das auf den Tisch kam. Wellenstein schien mehr Appetit zu haben, unterbrach jedoch sein Essen. Er zückte eine Pillendose. „Meine Frau schimpft mit mir, wenn ich die Dinger wieder vergesse. Sie hat sie mir extra in diese Dose einsortiert, damit ich das Wochenende heil überstehe.“
    Gerda überlegte nicht lange und beugte sich zu Wellenstein, um ihm ins Ohr zu flüstern. „ Die sollten Sie auf gar keinen Fall nehmen. Sicher ist sicher. Ich hole Ihnen lieber Tabletten in der Originalverpackung, essen Sie ruhig weiter, ich bin schon fertig.“ Wellenstein nickte zustimmend, klappte seine Pillendose wieder zu und wollte Gerda seinen Zimmerschlüssel reichen. Die wusste jedoch genau, welchen Eindruck das bei ihren Chor-Kollegen hinterlassen würde. Und auf dieses Gerede konnte sie getrost verzichten, deshalb raunte sie ihm zu: „Lassen Sie den Schlüssel einfach fallen, ich hebe ihn dann auf.“ Wellenstein fragte nicht weiter nach; Gerda war die Chefin, die ihm sagte, wo es lang ging und er befolgte ihre Anweisungen. Sein Schicksal hatte er vertrauensvoll in ihre Hände gelegt. Dass sie ihn jetzt aber allein ließ, das schien ihn doch zu beunruhigen und er rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. „Keine Sorge, ich bin gleich wieder da. Hier sind so viele Leute um Sie herum, da kann Ihnen nichts passieren“, flüsterte sie ihm zu, als sie den Schlüssel aufhob.
    Bereits als Gerda die Tür öffnete, merkte sie, dass ein Fenster offen stand. Es bildete sich ein kleiner Luftzug, der die Gardine, die zur Seite geschoben war, aufbauschte. Die Blätter, die auf dem ganzen Zimmerboden verstreut lagen, flatterten kurz auf und segelten still zur Erde nieder, als Gerda die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wie sah es denn hier aus? Gerda erkannte auf den ersten Blick, dass im ganzen Zimmer Notenblätter verstreut lagen. Es bestand kein Zweifel daran, dass hier die zerfledderte Partitur Wellensteins verstreut lag. Doch die Seiten waren nicht nur aus dem Notenheft herausgerissen worden, sie waren auch beschmiert. Gerda nahm einzelne Blätter in die Hand und betrachtete sie. Auf den Notenblättern war in dicken schwarzen Buchstaben die deutsche Übersetzung des lateinischen Textes geschrieben. Einige Passagen waren rot unterstrichen und mit Ausrufezeichen versehen.
    Was wollte Ansgar Wellenstein seinem Bruder mit dieser Aktion sagen? Wollte er ihm Angst machen oder ihn warnen? Für Gerda bestand kein Zweifel, dass der Apotheker den gemeinsamen Balkon genutzt hatte, um die Noten der h-Moll-Messe durch das auf Kippe stehende Fenster hereinzuwerfen. War das bereits der Auftakt zu dem Anschlag auf Wellenstein, mit dem sie alle heute noch rechneten?
    Gerda schaltete ihr Mikro ein. „Schorsch? Bist du noch da?“ Nichts regte sich. Gerda wurde unruhig. Was sollte sie jetzt machen? Sie konnte Wellenstein doch unmöglich in so ein Zimmer zurückkommen lassen. Ob sie die Sauerei einfach beseitigen konnte, wusste sie auch nicht. Schließlich stellten die Noten vielleicht eine wichtige Spur für die Polizei dar. Gerda probierte es erneut und endlich erhielt sie eine Antwort. „Zum Glück, du bist da! Ich hatte schon Sorge.“ Georg schien noch den Mund voll zu haben, denn er nuschelte ein wenig. „Entschuldige Gerda, aber die Nonnen haben mir gerade ein Mittagessen vorbeigebracht. Als sie mitbekommen haben, dass ich hier im Auto festsitze, haben sie sich rührend um mich gekümmert. Kulinarisch gesehen ist das seit langem der beste Job. Wie sieht’s bei dir aus?“
    Gerda informierte ihn über ihren Fund und holte sich seine Zustimmung, die vollgekritzelten Notenblätter wegzuräumen. Sie packte sie mit Handschuhen in eine der Plastiktüten, die Georg ihr gegeben hatte. Jetzt musste sie nur noch die Tabletten finden. Gerda ging in das kleine Badezimmer und durchsuchte Wellensteins Kulturbeutel.
    Auch wenn es

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