Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
der Küche allein lassen?“ Gerda wartete die Antwort auf ihre rhetorische Frage erst gar nicht ab, sondern verschwand in Richtung Schlafzimmer. Otto schaltete als erstes die Musik aus und atmete auf. Die Ruhe war wohltuend. Sobald er ein wenig Muße hatte, würde er seine Rezeptsammlung erweitern. Es gab sicher viele Möglichkeiten, mit Haschisch zu backen oder die Speisen mit Hasch-Öl zu verfeinern. Schließlich musste es nicht gleich ein Joint sein, obwohl gerade das gemeinsame Rauchen wie gestern Abend für Otto etwas wohltuend Anarchisches hatte. Vielleicht wären die anderen Darreichungsformen aber alltagskompatibler, überlegte er.
Als Gerda aufwachte, merkte Otto, dass der Shit seine Wirkung bereits entfaltet hatte. Seine Frau kam tänzelnd aus dem Schlafzimmer und fiel ihm als erstes um den Hals. „Ach, mein Schatz, habe ich dir heute schon gesagt , wie sehr ich dich liebe? Ich bin die glücklichste Frau auf der Welt.“ Otto war sich nicht sicher, ob er diese starke Wirkung hervorrufen wollte und hoffte insgeheim, dass Gerdas Euphorie bis zum Konzertbeginn wieder etwas nachließe. Er würde wohl noch ein wenig mit der Dosierung experimentieren müssen, bis er nur die Tiefenentspannung auslösen und sich den Love-Modus sparen konnte.
Nur widerwillig ließ sich Gerda dazu bewegen, sich still hinzusetzen, damit Otto ihr die Haare machen konnte. Wenn er sie gelassen hätte, hätte sie den spirituellen Kräften, die sie so unverhofft beseelt hatten, in einem freien Improvisationstanz im Wohnzimmer gehuldigt. Otto musste Gerda zur Eile anhalten. Schließlich mussten die Chorsänger heute früher als sonst auf dem Marienberg sein, weil sie noch Georgs Sicherheitsschleuse passieren mussten. Vielleicht war es der Wunsch, dass das Jubiläumskonzert perfekt sein musste, der für diesen straffen Zeitplan verantwortlich war. Vielleicht war Wellenstein aber auch nur nervös, weil er sich heute als lebende Zielscheibe an das Dirigentenpult stellen würde und er hoffte, sich mit dem zeitigen Einsingen ablenken zu können. Jedenfalls musste Gerda in einer halben Stunde zur Extra-Stimmprobe im Exerzitienhaus antreten und jetzt stand Otto mit ihr vor dem Kleiderschrank, weil sie nicht wusste, was sie anziehen sollte.
„Schätzle, ihr geht immer in Schwarz. Ich schlage vor, du ziehst heute einfach auch was Schwarzes an, damit kannst du gar nichts falsch machen.“
Gerda schaute unglücklich. „Hast du eine Ahnung. Soll ich lieber das lange Kleid anziehen, den Hosenanzug oder etwas ganz anderes?“
„Das ist doch völlig egal. Du bist nicht die Solistin. Auf der Bühne stehen hundert Sänger und man sieht sowieso nur die Köpfe. Du könntest auch in Strumpfhose und T-Shirt gehen. Das würde kein Mensch bemerken.“ Otto war dieser Kommentar einfach herausgerutscht und er bereute ihn in dem Moment, in dem er ihn gemacht hatte.
„Du nimmst meine Probleme gar nicht ernst. Was würden denn die anderen sagen, wenn ich so auftauchen würde. Mensch, Otto!“
Ihr Mann merkte, dass der Hasch offenbar nicht alle Hirnregionen in den gewünschten Entspannungszustand versetzt hatte und so bemühte er sich um Schadensbegrenzung. „Ich finde, der Hosenanzug steht dir besonders gut. Da wirkst du immer so souverän und er passt auch zu deiner rationalen Art.“ Gespannt wartete Otto auf eine Reaktion. Hatte er den richtigen Ton getroffen oder war er mit dem Kopf voraus in das nächste Fettnäpfchen gesprungen?
Gerda schaute prüfend auf die Kleiderauswahl, die sie an den Schrank gehängt hatte. „ Stimmt, das ist vielleicht die beste Wahl. Danke Otto, wenn es ernst wird, dann kann ich mich einfach auf dich verlassen.“
Ihr Mann atmete erleichtert auf. Das war gerade noch einmal gut gegangen!
Otto brauchte für seine Vorbereitungen nur fünf Minuten. Die Haare saßen wie immer perfekt und sein guter Anzug fürs Konzert kam frisch aus der Reinigung. Bevor er sein Jackett anzog, steckte sich Otto noch die Pistole, die er von Adriano ausgeliehen hatte, seitlich in den Hosenbund. Er wollte auf Nummer sicher gehen. Zum Glück hatte der Italiener keine Fragen gestellt. Für ihn war es selbstverständlich, dass er seinem Gewerbeverein-Kumpel half. Otto hatte dem Pizzeria-Wirt erzählt, warum er mit dieser ungewöhnlichen Bitte auf ihn zukam. Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass die Frage nach einer Pistole etwas Ungewöhnliches für den Gastronomen war. Er hatte Otto in sein Büro geführt und ihm die Waffe auf den
Weitere Kostenlose Bücher