Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Schreibtisch gelegt. Der Italiener ließ ihn wissen, dass er ein Mann der Tat sei und nicht der großen Worte. Außerdem hatte er dem Friseur auch angeboten, dass sich seine Leute um die Angelegenheit kümmern könnten. Die hätten große Erfahrung auf dem Gebiet und im Fall der Fälle auch keine Hemmung zu schießen. Adriano hatte Otto mitfühlend angesehen und ihm versichert, dass er genau wisse, wie es sei, wenn die eigene Frau Zielscheibe eines Verbrechens war.
Otto hatte sich für das Angebot bedankt, jedoch abgelehnt. Er hoffte einfach, dass er die Pistole lediglich als Lebensversicherung dabei hatte und dass er sie nicht würde einsetzen müssen. Und falls es doch dazu käme, glaubte er noch immer auf seine Schießerfahrungen aus seiner Bundeswehrzeit vertrauen zu können. Gerda wusste nichts von der Waffe und das sollte auch so bleiben. Gleich morgen würde er die Waffe wieder zurück zu Adriano Felice in die Pizzeria bringen.
Nachdem er Gerda vor dem Exerzitienhaus abgesetzt hatte, wo die letzte Probe stattfinden sollte, stellte Otto das Auto auf dem Parkplatz ab und ging direkt in die Kirche. Heute hatte er keine Augen für die Schönheit des barocken Gotteshauses. Gleich am Eingang wurde er von einem Polizisten in Empfang genommen und gebeten, durch die Sicherheitsschleuse zu gehen. Otto zuckte zurück. Wie sollte er dem Polizisten nur klar machen, dass er unbedingt eine Pistole mit ins Konzert nehmen musste? Der Friseur hatte auch keine Lust zu erklären, woher die Waffe stammte und was er mit ihr im Notfall zu tun bereit war. Also begrüßte er den Polizeibeamten nur und meinte, dass er sich noch ein wenig draußen die Beine vertreten und auf den Hauptkommissar warten wolle.
***
Auch im Hause des Dirigenten liefen die letzten Konzertvorbereitungen. Esther Wellenstein legte ihrem Mann seinen schwarzen Anzug heraus, den er letzte Woche bereits bei der Beerdigung seiner Mutter getragen hatte. Sie hoffte, heute einen endgültigen Schlussstrich unter die Sache ziehen zu können. Noch länger würde ihr Mann dem Druck nicht standhalten können, da war sie sich sicher. Er tat zwar immer so, als sei die Angelegenheit nicht so wild, aber Esther spürte, dass sie ihn mehr mitnahm, als er sich selbst eingestehen wollte.
Ihr Mann hatte sich in den letzten Wochen verändert. Er war nicht mehr der Alte. Der einstmals kraftvolle und entschlossene Macher war einem zögerlichen und in sich gekehrten Menschen gewichen. Diese Entwicklung gefiel Esther, sie hatte mittlerweile genug von dem Potenz-Geprotze ihres Mannes, der aller Welt ständig beweisen musste, dass er immer noch auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft war.
Oft genug hatte sie versucht , mit ihm zu sprechen und ihm die Augen zu öffnen. Er hatte jedoch alle Hinweise ignoriert und ihr obendrein noch vorgeworfen, dass sie ihn nur klein machen wolle, weil sie eifersüchtig auf ihn sei. Schließlich hatte Esther geschwiegen. Dem Unternehmen Wellenstein hatte sie schon vor langer Zeit gekündigt. Ihrem Mann war Esthers innere Emigration nicht aufgefallen; für ihn hatte sich nichts geändert und das war alles, was zählte im Universum Wellenstein.
Nach dem letzten Wochenende hatte Esther kurz die Hoffnung verspürt, dass sie sich wieder annähern würden, dass sie an vergangene glückliche Zeiten würden anknüpfen können. Doch dieser Moment der Intimität war nur der Schwäche Wellensteins zuzuschreiben. Esther hatte erkannt, dass wieder einmal nur das von Bedeutung war, was er brauchte. Sie hatte zu gehorchen und seinen Willen umzusetzen. Es war keine Frage gewesen, dass sie es war, die Michael das Ende ihres Arrangements verkünden musste. Wellenstein hatte entschieden, seine Frau sorgte für die Vollstreckung seines Willens.
Nach dem Treffen mit Michael hatte sie sich schlecht gefühlt. Sie hatte sich dafür gehasst, dass sie sich mit ihrem Mann, der beschlossen hatte, sein Sex-Spielzeug zu entsorgen, gemein gemacht hatte. Sie hatte sich eingestanden, dass mit dem Ende der Michael-Ära die letzte Illusion der Gemeinsamkeit mit ihrem Mann wie eine Blase geplatzt war. Zurückgeblieben war das schale Gefühl der Geschmacklosigkeit.
Esther verachtete sich für das, was sie getan hatte. Wozu hatte sie sich nur hergegeben? Zu was hatte sie sich machen lassen? Sie merkte, dass sie sich mit ihren Gedanken immer im Kreis drehte. Sie war Wellensteins Gattin, sie war nur Wellensteins Gattin, nichts weiter. Als sie in einer ruhigen Stunde Bilanz über
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