Todesgarten
neben
der Spur. Sah blass aus und war wohl auch nicht ganz bei der Sache.
»Er hat eine Pflegemutter«, sagte Anke. »Harald war
heute bei ihr. Sie lebt in Babelsberg.«
»Eine Pflegemutter?«, fragte Wolfgang. »Kommt er aus
dem Heim?«
»Er ist mit neun aus seiner Ursprungsfamilie herausgenommen
und kurz darauf in eine Pflegefamilie gesteckt worden. Schwierige soziale
Verhältnisse, aber du kennst das ja. Die Pflegemutter heiÃt Bärbel Neubauer.
Bei ihr hat er bis vor ein paar Jahren gewohnt, und sie standen bis zu seinem
Tod in einem sehr engen Kontakt zueinander.«
»Hat sie uns weiterhelfen können?«
»Nicht besonders. Die war aber auch ziemlich durch den
Wind. Aber im Grunde sagt sie das Gleiche, was der Mitbewohner gesagt hat.
Daniel Treczok hatte keine Feinde und keine verprellten Liebhaber. Er war ein
netter Kerl. Im Moment haben wir jedenfalls nichts, was auf eine Beziehungstat
hindeutet.«
»Abwarten. Jetzt vernehmen wir erst mal diese Jugendlichen.
Wer weiÃ, wo wir danach stehen.«
Wolfgang leerte seine Tasse mit einem groÃen Schluck.
Dann stand er auf.
»Also gut. Macht da weiter, ich gehe zurück in die
Vernehmung.« Er sah zu Michael und zögerte kurz. »Und du, Michael, kannst meinetwegen
Feierabend machen. Morgen ist schlieÃlich dein letzter Arbeitstag. Fahr nach
Hause, und freu dich schon mal auf deinen Urlaub.«
Zu seiner Ãberraschung nickte Michael, stand auf und
verlieà ohne ein weiteres Wort den Besprechungsraum.
Wolfgang hob verwundert die eine Augenbraue. »Was ist
denn mit dem?«
»Keine Ahnung. Der ist den ganzen Tag schon so«,
meinte Anke. »So, und jetzt packen wirâs, Lohmann, oder?«
»Meinetwegen kannâs losgehen«, meinte der.
»Bis später, Wolfgang«, sagte sie, ehe sie mit ihrem
Kollegen den Raum verlieÃ.
Wolfgang warf einen Blick auf den völlig versauten
Tisch, schüttelte den Kopf und ging zurück zum Vernehmungsraum.
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Im Besprechungszimmer waren Michaels Kopfschmerzen stärker
geworden. Am Anfang war es nur ein leichter Druck gewesen, den er auf seine
Müdigkeit zurückgeführt hatte. Doch inzwischen bohrten sich die Schmerzen brennend
in seinen Kopf.
Trotzdem hatte er das Hotel pünktlich erreicht. Lisa
war noch nicht da gewesen, und so hatte er sich an der Rezeption ein
Schmerzmittel geben lassen. Doch auch damit lieÃen sich die Kopfschmerzen nicht
ganz verscheuchen.
Er stellte seine Schuhe vors Bett, dann legte er sich
auf die weiÃen und duftenden Laken. Der Fernseher lief, ein Beitrag über ein
Naturreservat irgendwo in Afrika. Er lieà sich von den flackernden Bildern und
der monotonen Stimme des Sprechers einlullen. In dem vertrauten Dämmerzustand
verschwand alles andere aus seinem Bewusstsein.
Irgendwann sah er wieder auf die Uhr. Lisa verspätete
sich ziemlich. Was mochte heute schon wieder dazwischengekommen sein? Es war
nicht das erste Mal, dass er auf sie warten musste. Manchmal rief sie einfach
an und sagte das Treffen nachträglich ab. Es war aber auch schon vorgekommen,
dass nicht einmal das passierte. Meist, weil ihr Mann plötzlich aufgetaucht war
und ihre Pläne durchkreuzt hatte. Dann gab es nicht einmal eine Absage, und
Michael saà allein in dem Hotelzimmer, bis auch für ihn unverkennbar war, dass
sie nicht mehr kommen würde.
Er würde also warten. Vielleicht noch eine Stunde. Oder
zwei. Es machte ihm nichts aus. Wenn er nicht in diesem Zimmer herumsaà und
wartete, dann tat er es zu Hause. Oder im Büro. Manchmal schien es ihm, als
würde er sein Leben lang auf irgendetwas warten, ohne wirklich zu wissen,
worauf.
Plötzlich hörte er ein Geräusch im Flur. Eine Plastikkarte
wurde durch den Schlitz gezogen. Die Tür sprang auf. Lisa trat ein. Sie wirkte
schuldbewusst und schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Tut mir leid, ich bin
zu spät.«
Er sagte nichts, sondern lächelte. Sie stellte ihre
Tasche auf einem Sessel ab, quälte sich umständlich aus ihrer engen Kostümjacke
und plauderte drauflos. »Diese Uraufführung war so was von langweilig, du
machst dir keine Vorstellung. Und danach das blöde Interview mit dem Regisseur.
Der hat erst mal schön auf sich warten lassen.« Sie lieà sich auf den Sessel
fallen, zog die eleganten Schuhe aus und massierte ihre FüÃe. »Und dann hatte
ich Werner noch versprochen, im Reisebüro
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