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Todesgarten

Todesgarten

Titel: Todesgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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nicht
verschlossen, er stieß sie auf und stolperte ins Freie.
    Keuchend blieb er stehen. Da waren der Himmel und die
Dächer der Stadt. Von Weitem erkannte er den Fernsehturm, dessen Kugel silbern
im Abendlicht glitzerte. Turmspitzen, Baumkronen, Schornsteine, Sendeantennen.
Er konnte sich frei über die Dächer bewegen und jede mögliche Richtung
einschlagen.
    Die Polizei musste schon das ganze Viertel abriegeln,
wollte sie ihn schnappen. Er fühlte sich wie im Rausch. Sie würden ihn nicht in
die Finger kriegen. Er war schlauer als sie. Keiner hatte eine Chance gegen
ihn.
    Er warf die Tür zum Treppenhaus ins Schloss und begann
zu laufen.
    Â 
    Eine halbe Stunde später saß Michael wieder in seinem
Golf und machte sich auf den Weg nach Hause. Er hatte Lisa angeboten, sie ein
Stück mitzunehmen, schließlich mussten sie in dieselbe Richtung. Aber sie hatte
abgelehnt und sich lieber ein Taxi genommen.
    Es war nicht gut gelaufen an diesem Abend. Am Ende
hatten sie nicht einmal mehr Sex miteinander gehabt. Dafür war die Stimmung
einfach zu angespannt gewesen. Seine Kopfschmerzen waren wieder stärker
geworden. Die Wirkung der Tabletten ließ nach.
    Die breite Straße, auf der er sich befand, führte
direkt in den Tiergarten hinein. Er fragte sich, ob es vielleicht besser wäre,
den Park zu umfahren. Aber da war es schon zu spät, er hatte die letzte Abfahrt
verpasst. Am Großen Stern fädelte er sich in den Kreisverkehr ein.
    In diesem Moment tauchte auf dem breiten Bürgersteig
eine Gestalt auf. Ein junger Mann, der mit seinem Skateboard am Torhäuschen
vorbeifuhr. Was der wohl da trieb? Dann blickte der Junge auf. Er glich diesem
Pascal, den sie festgenommen hatten. Sein gefärbtes Haar hing ihm tief in die
Stirn, ein weites T -Shirt schlotterte um seinen
dürren Körper. Vielleicht war er ein bisschen größer und älter als Pascal, aber
die Ähnlichkeit war unverkennbar.
    Michael konnte nicht anders. Er verlangsamte das Tempo
und fuhr rechts auf den Parkstreifen. Der Junge bog in eine Seitenstraße ein.
Er rollte im Schatten von Alleebäumen davon. Michael wurde schwindelig. Er ist
einer von ihnen!, schoss es ihm durch den Kopf. Er sieht genauso aus wie seine
Kumpel, die jetzt in Haft sitzen! Nur war der hier noch nicht gefasst worden.
Vielleicht wusste er gar nicht, dass seine Kumpel heute Nacht nicht kommen
würden.
    Michael folgte ihm langsam. Der Junge tauchte auf seinem
Skateboard immer wieder durch die Lichtkegel der Laternen. Seine Bewegungen
waren selbstsicher, als wäre er stolz auf das, was gestern Nacht passiert war.
Das war typisch für diese Täter. Sie brüsteten sich mit ihren Verbrechen.
    Die Wut kam aus dem Nichts. Sie überrollte ihn und
machte jedes Denken unmöglich. Er trat mit aller Kraft auf die Bremse, warf die
Autotür auf und sprang auf die Straße. Rannte dem Jungen hinterher, war ihm
dicht auf den Fersen. Als der ihn bemerkte, war es längst zu spät. Michaels
Angriff erfolgte blitzartig, der Junge hatte keine Chance, sich zu wehren.
    Dann lag er unter ihm und sah Michael mit schreckgeweiteten
Augen an. Der erste Schlag traf ihn im Magen. Er stöhnte auf, wandte sich ab
und versuchte, über den Asphalt davonzukriechen. Doch Michael packte ihn, zerrte
seinen Körper herum und schlug ihm mit der Hand ins Gesicht.
    In seinen Gedanken blitzten die Fotos vom Tatort auf.
Da war der Leichnam seines Bruders. Schneeweiß und erkaltet, in den Schlamm
gedrückt, entwürdigt, beschmutzt, getötet. Michael hatte ihn nicht beschützen
können. Er allein trug die Schuld für das, was passiert war. Er hatte ihn
genauso wenig beschützen können wie damals. Alles wiederholte sich. Bis ins
Detail. Er musste Daniel vor den vielen Schlägen und den Misshandlungen
beschützen. Vor dem ganzen übergroßen Hass ihres grausamen Vaters.
    Ein ersticktes Japsen drang zu ihm durch. Er hatte
seine Hände um den schmalen Hals des Jungen gelegt. Die Augen des anderen waren
voller Panik. Er schien etwas sagen zu wollen, wand sich unter Michaels
Gewicht.
    Â»Was … habe … ich … getan?«, keuchte er schließlich.
    Die Bilder von Daniel verschwanden schlagartig. Michael
zog seine Hände fort. Was tat er hier nur? Wie hatte so etwas passieren können?
    Er ließ den Jungen frei. Plötzlich fühlte er sich unendlich
erschöpft. Er stützte sich auf dem Asphalt ab. Die

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