Todesgarten
Polizei
bin«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Das ist mir schon genug. Lass jemand anderen
den Job übernehmen.«
Er wollte etwas erwidern, doch ihr Blick lieà ihn zögern.
Sie meinte es ernst. Sie wollte keine Sonderbehandlung. Er sah zu den anderen.
Die meisten hatten sich um Anke versammelt, die angetrunken genug war, um ihre
Paraderolle vorzuführen: den lispelnden und nervös zuckenden Inspektionsleiter.
Frank stand neben ihr und lachte herzlich.
»Also gut«, sagte er. »Wir werden sehen.«
6
Michael lieà sich treiben. Ziellos fuhr er durch die
Stadt, begleitet vom monotonen Motorengeräusch und dem leisen Prasseln des
einsetzenden Regens. Erst als seine Kopfschmerzen immer stärker wurden, machte
er sich auf den Weg nach Hause.
Als er das Lokal verlassen hatte, wo die anderen den
Abschluss des Mordfalls Treczok feierten, wusste er zuerst nicht, was er mit
sich anfangen sollte. Aber sich ins Auto zu setzen und ziellos durch den Regen
zu fahren, das war immer noch besser, als an der Theke zu sitzen und zu feiern.
Zu Hause hatte er ein starkes Schmerzmittel. Er würde ein oder zwei Tabletten
einwerfen, sich ins Bett legen, den Fernseher einschalten und versuchen zu schlafen.
Mit dem Wagen umrundete er den Alexanderplatz und fuhr
an den S -Bahntrassen entlang in Richtung Jannowitzbrücke.
Auf einmal war ihm heiÃ, und er kurbelte das Fenster herunter. Feuchte Luft
strömte herein, Verkehrslärm und Abgase.
Da waren sie wieder, die Bilder der vergangenen Nacht:
der Junge auf dem Skateboard, sein erschrockenes Gesicht, die panische Angst,
als er ihm die Luft abgedrückt hatte. Michael war wie von Sinnen gewesen. In
einem ganz kurzen Moment war er fest entschlossen gewesen, ihn zu töten.
Hinter ihm hupte ein Auto. Er hatte gar nicht bemerkt,
wie die Ampel auf Grün gesprungen war. Hektisch trat er aufs Gas, doch der Golf
machte nur einen holprigen Satz und blieb dann mit abgesoffenem Motor liegen.
Der Fahrer des anderen Wagens hupte wieder, setzte zurück und fuhr in einem
Bogen um ihn herum. Michael sah ihn hinter den Wagenfenstern wild herumgestikulieren,
ehe er auf der Jannowitzbrücke verschwand.
Er schaltete in den ersten Gang und fuhr los. Das panische
Gesicht des Jungen blieb. Wie ein böser Geist, der nicht von ihm ablassen
wollte. Plötzlich geriet der Wagen ins Schlingern, und Michael trat mit aller
Kraft auf die Bremse. Das Auto kam mit einem Ruck zum Stehen, der Motor soff
erneut ab.
Jetzt war es still, auÃer ihm waren auf der Brücke
keine Autos zu sehen. Er musste raus an die frische Luft. Sofort. Er warf die
Tür auf und stolperte ins Freie. Regentropfen schlugen auf ihn ein, kühlten
angenehm seine Stirn. Eine Windböe fuhr über die Brücke und trieb ihn vor sich
her. Er trat ans Geländer und atmete tief durch.
Endlich verschwanden die Bilder. Unter ihm trieb dunkel
die Spree. Sie floss mit hohem Pegelstand, dabei entwickelte der Strom eine
auÃerordentliche Kraft. Ein Holzstück tauchte unter der Brücke auf. Ein
schmales Brett, kaum gröÃer als sein Unterarm. Es trieb schnell den Fluss
hinab, wurde über eine Welle geworfen und geriet dann in einen Strudel, der es
in kreisenden Bewegungen nach unten zog. Ein letztes Mal bäumte es sich auf,
dann verschwand es in den dunklen Fluten.
Michael starrte auf die Stelle, an der es abgetaucht
war. Wie mochte es sich anfühlen, auf diese Weise unter die Oberfläche gezogen
zu werden? Wenn der Fluss ihn einfach mitriss, und er hätte dieser Kraft nichts
entgegenzusetzen? Die schwarze lautlose Tiefe, der kalte Strom. Er fühlte sich
plötzlich seltsam davon angezogen. Da unten gab es bestimmt keine Schmerzen
mehr. Alles würde sich im Nichts auflösen.
»Junger Mann! Hallo!«
Er sah verstört auf. Am Ende der Brücke, vor der chinesischen
Botschaft, standen drei Wachpolizisten. Eine ältere Kollegin steuerte auf ihn
zu. Sie sah nicht so aus, als wäre mit ihr gut Kirschenessen.
»Junger Mann! Sie können dort nicht stehen bleiben. Da
ist absolutes Halteverbot. Ich muss Sie bitten, sofort weiterzufahren.«
Â
Es brannte noch Licht im Büro des Beauftragten für
gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Berliner Polizei. Der Rest des Gebäudes
war bereits in Dunkelheit getaucht, nur Karsten Linde arbeitete noch. Auf dem
Weg zum Kaffeeautomaten, der eine Etage tiefer im Aufenthaltsraum stand, musste
er überall das
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