Todesgarten
Flurlicht einschalten, das die Kollegen zum Feierabend gelöscht
hatten.
Auf Socken und mit geöffnetem Hemdkragen holte er sich
einen Becher dampfenden Kaffee und kehrte in sein Büro zurück. Eigentlich hätte
er längst Feierabend machen können. Aber er mochte es, wenn alle fort waren und
er in Ruhe seine Berichte schreiben konnte.
Als er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte, bemerkte
er das Blinken an seinem Anrufbeantworter. Wer rief denn um diese Uhrzeit in
einer Behörde an? Dazu noch an einem Freitagabend? Er beugte sich vor und drückte
die Abspieltaste.
Zuerst war da nur ein Rauschen, doch dann räusperte
sich jemand. »Ãhm ⦠ja, hallo. Lukas Möller ist mein Name. Ich ⦠also, keine
Ahnung, ob ich bei euch überhaupt richtig bin. Ich wusste nicht, wo ich anrufen
sollte. Es geht nämlich um den Mord an dem Schwulen im Tiergarten. Na ja, also,
ich hab da wohl einen Hinweis. Ich war nämlich auch im Tiergarten, als das
passiert ist. Oder zumindest kurz vorher. Jetzt hab ich in der Abendschau ein
Bild von dem Täter gesehen, den ihr da habt, und ⦠na ja, ich wollte nur sagen,
da liegt ihr falsch. Das war leider ein Schuss in den Ofen. Der Typ war das
bestimmt nicht, weil ⦠na ja, das sag ich euch besser mal persönlich. Ihr könnt
ja anrufen, wenn ihr das hört.«
AnschlieÃend hatte er seine Nummer hinterlassen und
dann aufgelegt.
Karsten Linde starrte ungläubig auf den Anrufbeantworter.
Er hörte das Band erneut ab und notierte die Nummer.
Der Fall war abgeschlossen, sie hatten sogar ein Geständnis.
Er war froh gewesen, dass alles vorbei war und dass die Polizei bei den
Ermittlungen insgesamt ein einigermaÃen gutes Bild abgegeben hat. Das musste
ein Irrtum sein, zumindest hoffte er das. Er nahm den Hörer und wählte. Am
anderen Ende ertönte das Freizeichen, dann meldete sich die Stimme vom Anrufbeantworter.
»Möller hier. Mit wem spreche ich?«
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Sie hatten Dennis den Gürtel abgenommen, zusammen mit
seinen privaten Gegenständen. Die Waschlappen, die er im Duschraum bekommen
hatte, wurden ebenfalls wieder eingesammelt. Als bestünde die Möglichkeit, sich
mit den handtellergroÃen Dingern zu erhängen! Aber das waren nun mal die Vorschriften.
Dennis sah sich in der Zelle um. Das Bett war in die Wand eingelassen und
schwebte ein paar Zentimeter über dem Boden. Es gab keine Bettwäsche, kein
Metallgestell, keine spitzen Ecken, gar nichts. Alles war kompakt und massiv.
Auch Pascal war in einer der Zellen im selben Trakt untergebracht.
Genau wie die anderen. Doch bislang hatte Dennis noch keinen aus der Gruppe zu
Gesicht bekommen. Aber das war ihm auch egal. Er hatte kein Interesse, einen
von denen je wiederzusehen.
Er kauerte auf dem Boden der Zelle. Die Arme hatte er
um seine Knie geschlungen. Eine Stunde noch, dann würde das Licht abgestellt
werden. Eine Stunde, und alles würde in Dunkelheit versinken. So viel Zeit
blieb ihm zu tun, was noch zu tun war. Eine Stunde konnte sich endlos lang
anfühlen oder wie ein Augenblick verfliegen. Er musste sich zusammenreiÃen.
Da war ein Teil in ihm, der zwang ihm die Erinnerungen
an die Sache im Tiergarten immer wieder auf. Er konnte sich nicht dagegen
wehren. Er sah die Schatten der Bäume in der Dunkelheit, hörte die leisen
Stimmen und das Stöhnen in den Büschen. Er spürte seine Erregung, den Anflug
von Angst, als Pascal und die anderen nicht mehr zu finden waren. Irgendwie
hatte er da bereits gewusst, was passieren würde. Da waren die Anspannung, das
Herzklopfen und das seltsam sehnsuchtsvolle Gefühl, das sich seiner bemächtigt
hatte. Als dann dieser Typ plötzlich vor ihm stand, war es, als hätte ein
anderer die Kontrolle übernommen. Ein anderer Dennis, den er besser nie kennengelernt
hätte.
Ihm wurde schwindelig. Er schlug sich mit der Faust
gegen den Kopf, als könne er auf diese Weise seine Erinnerungen verscheuchen.
Doch es half nichts. Er schluckte, um die Ãbelkeit zu vertreiben. Auch das
funktionierte nicht. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig zur freistehenden
Toilette, dann übergab er sich. Er keuchte und spuckte mehrmals in die
Schüssel, bis sein Magen sich endlich beruhigte. Vorerst. Dann sank er vor der
Metallschüssel zu Boden.
Das ist die Angst, sagte er sich. Diese ScheiÃangst,
die ich nicht in den Griff kriege. Trotzdem. Sein Entschluss stand fest.
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