Todesgarten
Ordner lag vor ihr auf dem Schreibtisch. Sie musste
sich beeilen. Doch sie rührte sich nicht. Ihr Atem floss ruhig und gleichmäÃig.
Verkehrslärm drang von drauÃen. Der Sekundenzeiger der Wanduhr rückte lautlos
weiter. Zeit verging.
SchlieÃlich wurde die Tür zum Nebenraum aufgerissen.
Cem war wieder da. Auf der Schwelle rief er seinem Vorgesetzten etwas zu, sie
lachten, dann kehrte er in sein Büro zurück.
Anna sah auf und rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte
den Moment ungenutzt verstreichen lassen.
Â
Wolfgang stand an seinem Bürofenster und blickte träge
hinaus. Er war müde, und die Knochen taten ihm weh. Vom Wochenende hatte er
nichts gehabt, und nun begann eine weitere lange Arbeitswoche, ohne dass er
seine Batterien aufladen konnte. Du wirst langsam alt, sagte er sich. Früher
hast du so was besser weggesteckt.
Er wandte sich ab und ging zum Gruppenraum. Irgendwer
hatte bestimmt heute Morgen Kaffee gekocht. Mit etwas Glück war noch ein Rest
in der Kanne. Er erinnerte sich an die Feier am Freitagabend. Da hatten alle
geglaubt, der Fall wäre gelöst. Er hatte sich darauf gefreut, neben seiner
Datsche am See zu hocken und zu angeln.
Im Gruppenraum surrte der Kühlschrank. Wolfgang griff
nach der Thermoskanne. Sie war tatsächlich halb voll. Er schraubte den Deckel
ab und hielt die Nase darüber. HeiÃer, frischer Kaffee. Fast wie ein Sechser im
Lotto.
»Hallo, Wolfgang. Ist da noch was drin?«
Kathrin war hinter ihm aufgetaucht.
»Du hast Glück. Irgendeiner hat gerade frischen gekocht.«
Er goss Kaffee in zwei Tassen und stellte sie auf den
Tisch. Kathrin lieà sich auf einen Stuhl sinken.
»Danke«, sagte sie.
»Und was machst du gerade?«
»Ich schreibe den Bericht vom Einsatz in der Pension
vorm Kink Klub.«
Er nickte. »Da bin ich gespannt.«
»Ich auch. Ich weià noch gar nicht, wie ich den so frisieren
kann, damit es am Ende einigermaÃen aussieht.«
Er lächelte. »Da kann ich dir auch nicht helfen.«
Dann setzte er sich zu ihr und nahm einen Schluck.
»Hast du heute schon mit dem Krankenhaus telefoniert?«,
erkundigte sich Kathrin.
»Ja, aber Neubauers Zustand ist unverändert. Es ist
nicht einmal sicher, ob er durchkommen wird. Geschweige denn, wann wir ihn vernehmen
können.«
»Okay. Halten wir fest, was wir haben: Bernd Neubauer
ist bislang der Einzige, der ein Motiv hatte, Daniel Treczok zu ermorden. Er
hat ihn für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich gemacht. Sein Frust und die
Wut auf Daniel sind über viele Jahre gewachsen. Neubauer hatte Motiv und
Gelegenheit. Bislang als Einziger.«
»Und jetzt diese Sache mit Peter Stroh.«
»Keine Ahnung, was das soll. Stroh war Daniels Arbeitgeber.
Ich sehe nicht den geringsten Zusammenhang.«
»Ich hätte schon eine Idee. Soll ich mal?«
»Na klar«, sagte Kathrin, »schieà los.«
»Bernd Neubauer ist zwar der Einzige, der Motiv und
Gelegenheit hatte. Aber was, wenn er trotzdem nicht Daniels Mörder ist?«
»Sondern?«
»Vielleicht ist er ja gar nicht nach Berlin gekommen,
um sich an Daniel zu rächen. Vielleicht wollte er sich stattdessen mit ihm
versöhnen.«
»Versöhnen?«
»Genau. Altersmilde oder was auch immer. Er hat erkannt,
dass sein Verhalten falsch war. Und deshalb ist er nach Berlin gefahren. Bevor
er sich mit Daniel aussöhnen kann, wird dieser aber plötzlich umgebracht. Und
Neubauer weiÃ, wer der Mörder ist: Peter Stroh. Deshalb will er sich an ihm
rächen.«
»Ich weià nicht, Wolfgang. Peter Stroh hat ein Alibi.
Und ein Motiv ist bislang auch nicht erkennbar. Und wenn sich Neubauer versöhnen
will, warum dann in so einer Undercover-Aktion? Er hätte sich doch bei seiner
Exfrau und seinem leiblichen Sohn gemeldet.«
»Stimmt.«
»AuÃerdem ist da noch eine ganz andere Sache, über die
wir noch gar nicht gesprochen haben.«
Wolfgang nickte. »Der Einbrecher.«
»Genau. Das war ein Profi. Und wie es aussieht, hatte
er es auf Bernd Neubauer als Person abgesehen. Der Verwalter der Pension hat ausgesagt,
dass wir nicht die Einzigen waren, die sich nach Neubauer erkundigt haben. Ein
männlicher Anrufer hat kurz zuvor das Gleiche getan. Und nicht nur dort. Auch
in anderen Hotels und Pensionen hat er sich erkundigt. Dieser Typ hat Neubauer
gesucht, genau wie wir. Er war bestimmt auch der Einbrecher,
Weitere Kostenlose Bücher