Todesgarten
wo er sich hastig abtrocknete.
»Ich wollte es dir sagen, damit du nicht extra herkommst. Aber du hast dein
Handy wohl nicht dabei.«
»Das hab ich auf der Wache liegen lassen.« Sie folgte
ihm und lehnte sich in den Türrahmen seines Schlafzimmers. »Ich nehme es heute
nach der Schicht wieder mit.«
Sie betrachtete ihn. Es störte sie nicht, dass er
keine Zeit für sie hatte. Im Gegenteil. Wenn er in Eile war, würde er sie nicht
nach der Drogenfahndung fragen. Sie würde ihm morgen alles erklären. Oder übermorgen.
Er stieg in seine Jeans, warf das Handtuch aufs Bett
und zog ein T -Shirt aus der Truhe. Dabei drehte er
ihr gedankenverloren den Rücken zu. Sie hielt den Atem an. Für einen kurzen Moment
sah sie die kleine Narbe, die er sonst immer sorgsam verbarg. Dann war alles
unter dem T -Shirt verschwunden.
»Bist du sauer auf mich?«
»Was?« Es dauerte, bis sie begriff. »Ach, weil du
gleich losmusst? Nein, das ist schon okay. Meine Schicht fängt eh in einer
knappen Stunde an. Ich guck vielleicht noch die Nachrichten und trink einen
Kaffee, dann mach ich mich auch auf den Weg.«
Er setzte sich aufs Bett und zog seine Turnschuhe an.
Anna erinnerte sich, wie sie die Narbe das erste Mal gesehen hatte. Da hatten
sie sich gerade geliebt und lagen nebeneinander auf den Laken. Die kleine Narbe
war ihr ins Auge gefallen, sie hatte die Hand ausgestreckt und darübergestrichen.
»Woher hast du die Narbe?«, hatte sie gefragt, woraufhin er sich blitzschnell
zur Seite gedreht hatte, um sie zu verbergen. In der scheinbaren Leichtigkeit
des Moments hatte sie ihn auf den Bauch gerollt und blitzschnell die Narbe
geküsst. »Jetzt sag schon, woher hast du die?« Sie hatte das Unheil nicht
kommen sehen. Wie eine Lawine hatte er sich über sie gewälzt. Er hatte ihren
Körper unter sich begraben, hatte seine Hand an ihre Kehle gepresst. Seine
dunklen Augen hatten gefährlich gefunkelt, und sein Atem lag heià auf ihrem
Gesicht, als er zischte: »Das geht dich nichts an, verstanden?« Sie bekam keine
Luft mehr. Ãngstlich nickte sie, und im nächsten Moment war er von ihr runter.
Sie fühlte sich wie betäubt. Bedeckte ihre nackten Brüste mit dem Laken. Tom
hatte betreten ausgesehen. »Es tut mir leid. Aber wenn du willst, dass was wird
aus uns beiden, Anna, dann darfst du mich nicht bedrängen. Du musst meine
Grenzen achten.« Danach hatte es nie wieder einen Moment gegeben, in dem sie
Tom so erlebt hatte. Aber sie hatte es auch nie wieder gewagt, nach der Narbe
zu fragen.
Tom strich sich die feuchten Haare aus der Stirn.
»Falls du Hunger hast, da ist noch Pizza im Ofen. Und
der Kaffee müsste warm sein, den hab ich erst vor einer halben Stunde aufgesetzt.«
Er lächelte und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Dann
drückte er sich an ihr vorbei in den Flur.
»Tom, warte.« Sie folgte einem Impuls. »WeiÃt du noch,
während der Razzia letzte Woche? Wo warst du eigentlich, als wir am Klub
eingetroffen sind?«
Es war nur ein vager Verdacht. Eine Idee, die ihr gekommen
war, als sie ihn beim Anziehen beobachtet hatte. Zwischen Peter und Daniel
hatte es Streit gegeben, heftigen Streit sogar. Das war kurz vor seinem Tod
gewesen. Dieser Streit könnte ein Motiv gewesen sein. So schrecklich der
Gedanke war, trotzdem wusste sie: Tom hatte bislang jeden Auftrag für seinen
Chef erledigt, ganz egal, was es war. Und: Er hatte kein Alibi.
»Wo soll ich schon gewesen sein?« Er schien irritiert.
»Ich hab ein paar Sachen in Sicherheit gebracht.« Er griff nach dem Wohnungsschlüssel,
steckte Geldbörse und Zigaretten ein. »Das war doch der Grund, weshalb du mich
gewarnt hast, oder?«
Sie erinnerte sich, wie sie im Klub vergeblich nach
ihm Ausschau gehalten hatte. Erst ganz zum Schluss war er aufgetaucht. Wie weit
würde Tom gehen? Würde er alles tun, wenn Peter es ihm befahl?
»Du warst über eine Stunde weg«, sagte sie. »So lange
brauchst du, um ein paar Pillen und etwas Koks wegzuschaffen?«
Er sah sie verständnislos an. »Was soll das denn
jetzt? Muss ich dir Rechenschaft ablegen über jede Minute meines Lebens?«
Wütend verlieà er die Wohnung. »Ich muss jetzt los.« Damit knallte die Tür zu.
Es wurde still. Anna sah lange auf die geschlossene
Wohnungstür. Da war etwas in seinem Blick gewesen, als sie ihn nach seinem
Alibi gefragt hatte. Beunruhigung.
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