Todesgeil
könnte sie einfach rausschwimmen, eine Meile oder noch mehr, egal wie weit, bis die beiden aufgaben. Doch mit unerträglicher Hartnäckigkeit hielten die beiden sie fest und ließen nicht los. Sie tänzelten um sie herum, veränderten ständig ihre Position und drückten sie unter Wasser. Sie verrenkte sich beinahe den Hals und konnte über sich gerade noch die Umrisse ihrer Köpfe und die Konturen der sich vor dem Mondlicht abzeichnenden Wolken ausmachen. Die Oberfläche war quälend nah und doch hätte sie ebenso gut tausend Kilometer entfernt sein können. Missys Griff um ihr Genick wurde fester und ihr Kopf wurde tiefer unter Wasser gedrückt. Eine Minute verstrich. Und noch mehr Zeit. Ihre Lungen brannten vor lauter Verlangen, aus- und wieder einzuatmen. Ihr war klar, dass sie jetzt lieber anfangen sollte zu beten. Sie glaubte zwar nicht so an Gott wie Annalisa, aber die – ganz gleich wie ferne – Möglichkeit, dass es auf der anderen Seite doch noch etwas gab, war die einzige Hoffnung, die ihr noch blieb.
Unerbittlich drückten sie sie weiter unter Wasser, ließen nicht los.
Und das Unausweichliche geschah.
Sie machte den Mund auf und Salzwasser strömte ihre Kehle hinab und in die Lunge. Einige Sekunden lang wehrte sie sich heftiger und verzweifelter als zuvor. Sie hatte das Gefühl, von innen her zerquetscht zu werden.
Schließlich spürte sie nichts mehr.
Sie hielten sie noch ein bisschen länger fest, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich tot war. Zwei, drei Minuten. Dann tauschten sie einen stummen Blick aus, ließen sie los und sahen zu, wie der Leichnam von der Strömung hinabgezogen wurde.
Julie kratzte sich mit dem Revolverlauf an der Schläfe. »Ich habe immer geglaubt, sie treiben oben.«
Missy zuckte die Achseln. »Vielleicht müssen sich erst irgendwelche Gase ansammeln, die die Leiche aufblähen.«
»Hm, wahrscheinlich. Na ja, jedenfalls hat es Spaß gemacht.«
»Ja.« Missy hob das Gesicht, als eine angenehme Brise über sie hinwegstrich. Sie blickte aufs Meer hinaus. Die endlose, tiefschwarze Weite schien so verlockend. »Schöne Nacht. Es ist wirklich schön hier draußen.«
»Hm. Ja.«
»Wir sollten zurückgehen.«
»Okay.«
Sie wateten wieder an den Strand und machten sich auf den Rückweg. Das Haus, in das sie eingedrungen waren, war ein paar Hundert Meter entfernt. Es war leicht auszumachen, weil es weit und breit das einzige Haus war, in dem alle Lichter brannten. Missy musste Zoe Anerkennung zollen. Sie hatte sie wirklich auf Trab gehalten. Um ein Haar hätte sie es geschafft. Sehr wahrscheinlich sogar, hätte sie nicht dummerweise Pech gehabt.
»Hey.«
Missy blickte Julie an. »Ja?«
Julie lächelte. »Das war geil, als sie schlaff geworden ist. Das gefiel mir am besten.«
»Ja.«
»Ich meine, man wusste einfach, dass sie tot ist. Man konnte regelrecht spüren, wie das Leben sie verließ. Das war verdammt geil.«
Missy lächelte. »Das musst du Chuck erzählen.«
Julie kicherte. »Ich weiß! Ich kann es kaum erwarten, sein Gesicht zu sehen.«
Missys Lächeln schwand, als sie sich der Düne näherten, die den Strand abschirmte. Denn das war der Augenblick, in dem sie die Schreie hörte, die aus dem Haus kamen.
KAPITEL 42
27. März
Der Kerl hatte mindestens drei- oder viermal zugestochen. Zweimal in den Arm, einmal in die Seite und ein weiteres Mal ins Bein. Die Wunden taten allesamt höllisch weh, aber keine war sehr tief. Keiner der Stiche war bisher tödlich gewesen. Das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen, ging Rob erneut auf Chuck los und stieß mit dem Messer nach seiner Brust. Mittlerweile wirkte er ebenso durchgeknallt wie die beiden Mädchen. Er mochte von Natur aus kein Killer sein, doch nun, da er in Bedrängnis war, stand er kurz davor, einer zu werden. Chuck wälzte sich herum und wich gerade noch aus, ehe das Messer herabsauste und mit einem dumpfen Geräusch im Boden stecken blieb. Er vernahm ein angestrengtes Keuchen. Instinktiv wälzte Chuck sich wieder zurück, ehe Rob das Messer herausziehen konnte. Er holte aus und seine Faust landete mit der Wucht eines Vorschlaghammers auf Robs Kiefer. Rob ließ das Messer los und wurde weggeschleudert. Er landete auf dem Rücken und rührte sich nicht mehr. Gut möglich, dass er k. o. war. Fest genug hatte er den Dreckskerl ja getroffen. Chuck griff nach dem Messer und zerrte es aus dem Boden.
Er hörte Schritte, die polternd die Treppe hinaufkamen.
Shit!
Er durchtrennte das letzte Stück
Weitere Kostenlose Bücher