Todesglocken für John Sinclair
ich ihn noch nicht gesehen und manchmal sogar für eine Erfindung gehalten, mit der anderen Angst gemacht werden sollte.
Dem war nicht so.
Es gab ihn wirklich. Und er war eine Figur wie aus einem Monsterfilm. Groß, sehr groß sogar. Mich überragte er um eine halbe Kopflänge. Sein Gesicht schien nur mehr aus einer Anhäufung alter Baumrinde zu bestehen, so dunkel, so übereinandergeschoben und so borkig. Sein strähniges Haar wirkte wie verfilzte Wolle, während aus einem Büschel an seinem Kopf eine graue Feder wuchs, die ihn als Indianer kennzeichnete. In dem Gesicht sahen die Augen aus wie Perlen, als Kleidung trug er einen alten lappigen Poncho, unter dem die langen Arme hinwegstachen und sich seine Klauenfinger um den Hals des Mädchens gekrallt hatten.
Hatte er sie erwürgt? Ich schlug zu.
Das Kreuz wollte ich in sein Gesicht hämmern, doch mein nach unten fallender Arm wurde durch eine hinter mir geschickt gworfene Schlinge abgefangen, so daß sich der Schlag auf halbem Weg von selbst stoppte. Ich selbst flog zurück und genau in die auffangbereiten Arme meiner Gegner.
Während ich noch in einer Schräglage hing, bekam ich mit, wie der Magic Man seine Hände vom Hals des jungen Mädchens löste und dafür sein Maul weit öffnete.
Zwei Zähne sah ich nur, aber die waren spitz wie geschliffene Dolche. Vampirhauer!
Der Magic Man war ein Blutsauger aus uralter Zeit, und die Rocker mußten ihn irgendwie ausgegraben oder hergeholt haben. Dieses Wissen ging mir unter die Haut. Und die Gefahr, in der Gwen plötzlich schwebte, ließ in mir gewaltige Kräfte zur Explosion kommen. Die Zombies hatten wohl damit gerechnet, mich sicher zu haben. Sie irrten sich, denn plötzlich riß ich mich mit drehenden Bewegungen von ihnen los und schaffte es auch, den Kerl zu Boden zu reißen, der die verdammte Schlinge hielt.
Er war so überrascht, daß er losließ. Ich sprang zur Seite und wollte mich auf den Magic Man stürzen.
Es war mein Pech, daß ich eine Unebenheit im Boden übersah und plötzlich stolperte. Mein Schlag, der die Gestalt hatte treffen sollen, erwischte ihn nicht, sondern zischte ins Leere. Ich selbst wurde von der Wucht nach vorn geschleudert und bekam mit, wie sich der Magic Man über Gwendolyn beugte.
Dabei biß er zu!
Mehr sah ich nicht, weil der Boden plötzlich auf mich zukam. Ich hatte einfach zuviel Schwung gehabt. Zum Glück gelang es mir, mich abzustützen und dem Aufprall einen Großteil der Wucht zu nehmen. Mit einer Rolle vorwärts brachte ich mich aus der ersten Gefahrenzone, prallte gegen die harte Wand, drehte mich wieder und kam auf die Beine. So blieb ich stehen.
Und sie standen vor mir.
Verdammt, es waren zehn haßerfüllte, brutale Gegner, wobei ich den Magic Man nicht hinzuzählte, denn der hatte sich mit seinem Opfer bereits entfernt. Ich aber blieb auf der Strecke. Und ich konnte erkennen, wo er sich aufgehalten hatte. Da war auf dem Boden ein magischer Kreis aus Blut gezeichnet worden, der inzwischen eingetrocknet oder einfach nur gefroren war.
Ich dachte an die Ladung in meiner Beretta. Einige von ihnen würde ich mitnehmen können, wenn es hart auf hart kam und ich mein Leben verteidigen mußte.
Soweit war es noch nicht.
Wir standen uns nach wie vor gegenüber und starrten einander an. Wilde, grimassenhafte Gesichter und leuchtende Augen stierten mir entgegen. Aus den aufgerissenen Mündern strömte der warme Atem und bildete in der kalten Luft kleine Wolken.
Ich hielt ihnen die Beretta und das Kreuz entgegen. Es war das Kreuz, das ihnen die plötzlichen Schauer der Angst einjagte. Ein Kerl mit roten Haaren und langen Ohrringen übernahm die Sprecherrolle. Sein rechter Arm schnellte vor. »Er hat das Kreuz!« rief er mir und den anderen zu. »Verdammt, er hat das Kreuz. Nimm es weg, du Hund, nimm es weg!« Seine Stimme wurde zu einem nervenzerfetzenden Kreischen, das auch in den Tunnel hineinhallte.
»Nein!« brüllte ich zurück. »Ich nehme es nicht weg. Es ist das Zeichen des Sieges. Ich weiß, daß ihr es nicht haben wollt. Ich weiß es genau. Aber ich werde euch zwingen…«
»Nichts wirst du!« brüllte ein anderer. »Wir werden doch töten! Umbringen, killen…!«
Er wollte seinen Vorsatz sofort in die Tat umsetzen, denn er griff bereits an den Gürtel, um eine gefährliche Schlagwaffe hervorzuholen. Da schoß ich.
Ich mußte einfach so reagieren, um mir gleichzeitig den nötigen Respekt zu verschaffen. Natürlich wollte ich ihn nicht töten, deshalb hatte
Weitere Kostenlose Bücher