Todesglocken für John Sinclair
war vorsichtiger als das Mädchen, ging breitbeinig und wie auf rohen Eiern über die Straße.
Die Kleine sah mich kommen. Ohne Grund begann sie zu schreien, als mein Schatten über sie fiel. Sie hockte noch immer auf Knien und Händen. Einen Arm streckte sie aus, als wollte sie mögliche Schläge von mir abwehren.
»Ich tue Ihnen nichts«, sagte ich mit möglichst ruhiger Stimme. »Ich will nur wissen, was geschehen ist.«
»Da dreht jemand durch.«
»Wer?«
Sie begann zu heulen. Schon vorher vergossene Tränen hatten verschmierte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. »Das war plötzlich. Wir hatten einen Kerl. Als der das Läuten hörte, wurde er wild. Dann kamen noch zwei junge Weiber an mit grün gefärbten Haaren. Sie schrien etwas von der Zeit des Teufels, und der andere hörte das. Es war, als hätten sie sich abgesprochen.«
Mir reichte der Bericht völlig aus. Es ging los. Es war also kein Bluff oder eine Lüge gewesen, was man uns in der Disco erzählt hatte. Wenn die Glocke läutete, würde das Böse, das in gewissen Menschen steckt, kommen.
Als ich an dem Mädchen vorbei war, hörte ich noch einmal seinen Ruf.
»Der hat schon gekillt.«
»Wen?«
»Snuggles.«
»Wer ist das?«
»Ein Zuhälter.«
»Okay, danke.« Mir liefen Eisschauer über den Rücken. Wahrscheinlich erwartete mich eine Hölle, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich Suko mitgenommen hätte, aber er mußte einfach im Wagen warten, denn viel konnte noch passieren.
Ich war nur froh, daß dieses verfluchte Läuten nicht auf alle Menschen diesen grausamen Einfluß besaß und nur eine bestimmte Personengruppe traf, die sich tatsächlich zum Satan hingezogen fühlte und vielleicht schon einmal Kontakt mit ihm gehabt hatte. Anders wäre es unvorstellbar gewesen.
Ich tauchte in den schmalen Flur, der hinter der Tür lag. Die Treppe nahm die gesamte Breite des Flurs ein. Erhellt wurde er durch eine dicke, rote Kugel, die unter der Decke hing.
Ich blieb für einen Moment vor der untersten Stufe stehen. Die Ruhe im Haus gefiel mir nicht. In ihr steckte eine gewisse Spannung die sich sehr bald schon zu einer gewaltigen Explosion lösen konnte. Die Treppe war mit einem Läufer belegt, der die einzelnen Stufen nur mehr in der Mitte abdeckte. Über diesen Läufer schritt ich hoch. Noch hatte ich meine Waffe stecken lassen, war aber bereit, sie blitzschnell zu ziehen. Kurz bevor ich das Ende der Treppe erreichte, hörte ich schon die Geräusche.
Es war ein Stöhnen, dazwischen ein Kichern, und auch jammernde Laute vernahm ich.
Der Gang in der ersten Etage knickte nach links weg. Auf der letzten Stufe blieb ich noch für einen Moment stehen und peilte um die Ecke. Sie erwischten mich, als ich den Kopf vorschob. Dabei mußten sie dicht an der Wand gelauert haben und hatten mich wohl auch kommen hören. Vor meinem Auge tauchte eine gespreizte Hand auf. Obwohl alles blitzschnell ging, erkannte ich schwarz lackierte Fingernägel, die an ihrem oberen Ende spitz wie Dolche gefeilt waren. Nur noch ein wenig konnte ich den Kopf zurücknehmen, aber mich erwischten sie trotzdem.
Ich vernahm das wilde Kreischen, spürte an der Stirn und dicht am Ohr den Schmerz und hatte das Gefühl, von einem glühenden Eisen gestreift zu werden.
Ein heißes Metallstück war es nicht. Dafür einer der spitzen Nägel, die mir die Haut aufgerissen hatten. Mein Gesicht wurde durch einen blutigen Streifen entstellt. Zwischen Gang und Treppe existierte nur ein sehr schmaler Podest. Ich durfte nicht nach hinten ausweichen, dann nämlich riskierte ich, die Stufen rücklings hinabzufallen, und so etwas konnte mit schweren Verletzungen oder noch schlimmer enden. Also warf ich mich vor und dieser verdammten Gefahr direkt entgegen. Es war kein höllisches Wesen, das mich hier in Empfang genommen hatte. Dieses Mädchen kannte ich. Es gehörte zu den Kellnerinnen aus der Disco. Sie und ihre Kolleginnen waren ausgeschickt worden, um die Botschaft des Teufels im Verein mit der dumpf klingenden Glocke unter die Menschen zu bringen.
Bei mir war sie an den falschen geraten.
Meine Rechte kam voll durch. Genau im richtigen Augenblick, denn sie hatte wieder kratzen wollen, und die zehn gekrümmten Finger waren dicht vor meinem Gesicht erschienen.
Einen Moment später waren sie verschwunden. Da hatte es die Kleine hart erwischt, und sie torkelte nach hinten in den schmalen Gang hinein. Aber es war noch eine zweite da. Woher sie sich den schweren Kerzenständer besorgt
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