Todesglocken für John Sinclair
offenen Wagenschlag stehen, schaute in den Himmel und sah weit über den Häusern die gewaltige Glocke. Sie schwebte in der Luft wie ein großes Abziehbild, mit dem fratzenhaften Gesicht des Teufels an ihrer vorderen Seite, das mir selbst aus dieser großen Entfernung höhnisch zuzugrinsen schien.
»Verdammt!« flüsterte ich heiser. »Ich kriege dich noch. Das schwöre ich dir, du Höllenherrscher. Wenn es heute nicht ist, dann morgen oder übermorgen.« Mit diesem Versprechen tauchte ich wieder in meinen silbergrauen Bentley.
»Was hast du gesagt?« fragte Suko.
Ich rammte die Tür zu. »Nichts.«
Suko hob die Schultern. »Du hast deinen Bumerang geholt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Das war gut.« Mehr sagte er nicht. Auch ich sah keinen Grund, mich zu unterhalten, da ich gestartet war und mich auf die gefährliche, eisglatte Fahrbahn konzentrieren mußte.
Auch Suko saß angespannt neben mir. Kurz nach dem Start hatte ich leichte Schwierigkeiten. Der Bentley war mit den Hinterrädern auf einem besonders glatten Eisstück gelandet, so daß die Reifen sich auf der Stelle drehten.
Ich kam trotzdem frei und mußte mir Sukos spöttische Bemerkung anhören. »Ein toller Winterfahrer bist du auch gerade nicht.«
»Mach du es besser!«
»Ich warte lieber auf Tauwetter.«
Es war für uns beide ziemlich ungewohnt, durch ein London zu fahren, daß unter dieser gewaltigen und unnatürlichen Kälteglocke litt. Weshalb sollte es uns besser ergehen als allen anderen Mitteleuropäern? Auf dem Festland sah es noch schlimmer aus. Sellbst in den südlichen Regionen stöhnten die Leute unter der Kälte. In Frankreich waren sogar zahlreiche Menschen erfroren.
Soho kannte ich gut. Früher privat und heute beruflich hatte ich mich oft genug in der Szene herumgetrieben. In dieser mit dumpfen Glockengeläut erfüllten Nacht kam mir alles anders vor. Da sahen selbst bekannte Orte und Plätze fremd aus, so daß ich das Gefühl hatte, mich in einer völlig anderen Welt zu bewegen.
Wohin ich sah, starre Kälte. Alles schien eingefroren zu sein. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Eine leere Straße in Soho. Wann hatte es das schon einmal gegeben?
Obwohl das Gebläse des Wagens auf Hochtouren lief und mittlerweile warme Luft gegen die Innenseiten der Scheiben ströhmte, hörte ich dennoch das Läuten der Glocke. Dieses Geräusch mußte durch jede Mauer dringen, in den letzten Winkel eines Hauses oder Kellers. Deshalb wunderte es mich, daß ich noch keinen Menschen auf der Straße sah, der nachschaute, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. Suko griff zum Telefon. »Ich setze mich mit dem Einsatzleiter in Verbindung«, erklärte er.
Die Idee war gut. Meine Bestätigung bekam er durch ein Nicken. Während ich fuhr, lauschte ich gleichzeitig Sukos Antworten.
»Sie haben auch schon davon gehört?« fragte mein Freund.
»Durch Anrufe? Also… nein, Sie brauchen nicht einzugreifen. Geben Sie die Meldungen auch weiter. Wir wollen keine weiteren Polizisten. Wenn sie erforderlich sind, sage ich Ihnen Bescheid. Klar?«
Suko lauschte noch einige Sekunden und legte danach auf. »Es war schwer, den Kollegen zu überzeugen, aber schließlich hat er alles eingesehen. Er wird sich also nicht rühren.«
»Eine Panik können wir jetzt nicht brauchen«, stand ich ihm bei. Noch vor dem Gespräch meines Freundes hatte ich darüber nachgedacht, wie leer die Straßen doch waren. Dies änderte sich nun. Auf der rechten Seite und fast mit uns auf einer Höhe wurde eine Tür aufgestoßen. Was sich hinter der Fassade befand, hatte ich zuvor nicht gewußt. Erst als rotes Licht auf den Gehsteig fiel und sich innerhalb des Scheins ein menschlicher Umriß zeigte, erkannte ich das Mädchen. Es trug einen schwarzen Minirock, eine dunkle Strumpfhose und hatte um den Oberkörper eine Jacke aus weißem Fell geschlungen. Es stolperte auf die Straße, verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Dann kroch die Kleine auf allen vieren weiter und blickte über die Schulter hinweg angsterfüllt zurück.
Ich bremste.
Leider ein wenig zu plötzlich und zu stark, so daß der Wagen nach rechts wegrutschte und auf die Straßenmitte geriet. Schräg blieb er stehen und mit der offenen Haustür in gleicher Höhe.
»Es geht schon los!« hörte ich Suko sagen.
»Ja, und du bleibst hier. Ich schaue mir die Sache allein an. Vielleicht mußt du woanders eingreifen.«
»Das hätte mir noch gefehlt.«
Ich erwiderte nichts. Losgeschnallt hatte ich mich bereits und stieg aus. Ich
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