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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
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Überreste des gestrigen Abends.
    Als ich über den Platz auf das rotgestrichene Wellblechhaus mit dem Schild »Die Wahrheit schreibt die besten Geschichten« zuschlenderte, dachte ich an Gunnsa und ihre Reisegefährten auf dem anderen Rathausplatz.
    Jetzt checke ich die Internetnachrichten und entdecke die Meldung aus dem Radio, in der Skarphéðinn Valgarðsson gebeten wird, anzurufen. Ich überlege, ob ich Örvar Páll oder Ágústa kontaktieren soll, und entscheide mich für Ágústa. Sie ist in der zwölften Klasse im Gymnasium, ein kleines Energiebündel, sommersprossig und lebhaft, mit kurzgeschorenem Haar. Bei der Probe trug sie eine graue Perücke für die Rolle der Bischofsgemahlin von Hólar.
    Ágústa kommt abgehetzt ans Telefon und schnappt nach Luft.
    »Grüß dich«, sage ich. »Einar vom
Abendblatt
. Ich hab den Artikel über
Loftur, der Magier
in der heutigen Ausgabe geschrieben.«
    »Ja, hallo«, entgegnet sie. Es ist unüberhörbar, dass sie auf jemand anderen gehofft hat.
    »Ich hab heute Mittag die Meldung im Radio gehört. Ist Skarphéðinn wieder aufgetaucht?«
    »Nein. Wir haben die Premiere verschoben. Konnten nicht mehr länger warten.«
    »Wird er gesucht?«
    »Wir haben ihn den ganzen Morgen gesucht und dann die Polizei informiert.«
    »Was glaubst du, was passiert ist?«
    Sie klingt tief betrübt und atmet heftig. »Ich weiß es nicht. Nach der Generalprobe gestern gab’s eine Party. Da war er eine Zeitlang, und dann hat ihn niemand mehr gesehen.«
    »Und da ist nichts Ungewöhnliches passiert?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Kann er nicht woanders übernachtet und verschlafen haben? Oder bei irgendeinem Besäufnis gelandet sein, das noch nicht vorbei ist?«
    »Du kennst Skarphéðinn nicht. Er ist total zuverlässig.«
    »Wo wohnt er?«
    »Er ist im Herbst aus dem Internat ausgezogen und hat eine Wohnung in der Stadt gemietet. Da macht keiner auf.«
    Ich bedanke mich bei ihr mit den wenig tröstlichen Worten, dass wir das Beste hoffen müssen.
    Dann rufe ich bei der Polizei an.
    »Wir haben eine Vermisstenmeldung rausgegeben und suchen ihn. Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen«, erklärt die Frau am Apparat. »Er ist ja noch nicht lange verschwunden, aber die Umstände sind zweifellos speziell. Mit dieser Premiere und so.«
    »Wurde seine Wohnung schon kontrolliert?«
    »Mehr kann ich dir leider nicht sagen.«
     
    Eher versuchsweise als ernsthaft führe ich schließlich noch ein Telefonat.
    »Hóll, guten Tag.«
    »Kann ich mit Gunnhildur Bjargmundsdóttir sprechen?«
    »Augenblick.«
    Es vergehen zwei Minuten.
    »Hallo? Ja, hallo?«
    Die stockende Stimme klingt leicht verunsichert.
    »Guten Tag, Gunnhildur. Ich heiße Einar, vom
Abendblatt
. Ich habe vor ein paar Tagen eine Nachricht bekommen, dass ich dich anrufen soll, konnte dich aber bisher nicht erreichen.«
    Eine lange Pause.
    »Hallo? Gunnhildur?«
    Ein heftiges Räuspern echot im Hörer: »Hrhuhrummmm.«
    Ich warte, bis ihr Hals frei ist.
    »Entschuldige, mein Junge«, sagt Gunnhildur und röchelt immer noch ein wenig. »In meinem Alter hat man’s nicht mehr so leicht.«
    »Ich habe gehört, dass du die Mutter von Ásdís Björk bist. Mein herzliches Beileid.«
    »Danke. Man sagt ja, dass man die Nähe des Todes erst spürt, wenn man seine eigenen Kinder überlebt. Das sind … das sind …«
    Die Frau scheint abzuschweifen.
    »Das sind wahre Worte«, bringt sie den Satz zu Ende.
    »Kann ich irgendetwas für dich tun?«, frage ich, damit sie den Faden nicht verliert. »Worum ging es denn?«
    »Ich weiß nicht, ob du etwas für mich tun kannst.«
    »Aber …?«
    »Ich hab versucht, mit der Polizei zu sprechen. Aber die hören mir nicht zu. Die halten mich für eine senile Alte. Sehr viele Menschen glauben, dass alte Leute mehr oder weniger verrückt, gehörlos und weggetreten sind.«
    »Das stimmt allerdings«, sage ich und denke darüber nach, ob ich auch so jemand bin.
    Als ich merke, dass mein Satz doppeldeutig war, beeile ich mich hinzuzufügen: »Dass viel zu viele Menschen das glauben. Das sind natürlich nur Vorurteile.«
    »Leute, die so denken, sind nicht zu beneiden, wenn sie selbst mal alt sind. Was sie hoffentlich nie werden.«
    Obwohl ich kein Gespräch über das Alter anzetteln möchte, werfe ich salopp ein: »Warum sagst du das? Wünschst du diesen Leuten etwa ein kurzes Leben?«
    »Ich wünsche mir einfach, dass niemand wegen seines Alters gedemütigt oder abgeschrieben wird. Das gilt auch für

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