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Todeshaus am Deich

Todeshaus am Deich

Titel: Todeshaus am Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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sich hinmurmelte: »Ich muss dahin.« Er nahm Christoph im Vorbeigehen nicht
wahr. Auch um solche Menschen mussten sich die Mitarbeiter der Hauke-Haien-Residenz
kümmern.
    Er wurde durch
Oberschwester Dagmar aus seinen Gedanken herausgerissen.
    »Gut, dass ich Sie
treffe. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
    Sie atmete tief
durch, was einem Seufzer gleichkam.
    »Ich kann jetzt eine
Tasse Kaffee gebrauchen. Trinken Sie eine mit?«
    Sie führte ihn in
das karge Schwesternzimmer, bot ihm Platz auf einem klapprigen Drehstuhl an und
schenkte aus einer Thermoskanne zwei Becher voll. Vorsichtig nippte sie an
ihrem Becher, auf dem neben einer neckischen Zeichnung »Dagmar ist die Beste«
gedruckt war. Christoph drehte den Becher in seinen Händen. Ein Bürotrottel war
darauf abgebildet, der mit hochrotem Kopf wütend in der Luft schwebte. Die
Sprechblase lautete: »Mein Becher!« Selbst auf die Gefahr hin, dass ihm der
Besitzer des Trinkgefäßes in ebendiesem Zustand begegnen könnte, nahm Christoph
einen Schluck.
    Erneut atmete Dagmar
tief durch.
    »Zwei Minuten zu
sitzen ist eine richtige Wohltat«, sagte sie. »Wer diesen Job noch nie gemacht
hat, hat keine Vorstellungen davon, wie stressig er ist. Ständig sind Sie auf
den Beinen. Schwester hier, Schwester da. Können Sie mal eben … Warum dauert
das so lange …« Sie äffte den Ton nörgelnder Senioren nach.
    Christoph ließ ihr
Zeit.
    »Manchmal verstehe
ich den lieben Gott nicht, warum er sich so viel Zeit lässt, bis er die
Schwerkranken und Gebrechlichen zu sich ruft. Wer – so wie ich – lange mit
alten und kranken Menschen zu tun hatte, versteht, warum sie irgendwann nicht
mehr möchten. Nehmen Sie den alten Schüttemann. Der ist nur noch dahinvegetiert
und hatte große Schmerzen. Darum finde ich Lösungen wie in Holland gar nicht
schlecht, wenn Menschen ihren Tod selbst bestimmen können. Für unseren
Schüttemann war das eine Erlösung. Nicht wahr, Paule?«, fragte sie, indem sie
mit dem Finger aufwärtszeigte und gegen den unsichtbaren Himmel guckte.
    »Verstehe ich Sie
richtig? Sie hätten gegen Sterbehilfe nichts einzuwenden?«
    Dagmar sah Christoph lange an, bevor sie antwortete. »Ja, ich wäre für das selbstbestimmte Sterben.
Mit aller Entschiedenheit. Obwohl ich ein religiöser Mensch bin und mich ganz
klar zum fünften Gebot bekenne, muss es Möglichkeiten geben, unsinniges Leiden
zu verkürzen.«
    »Haben Sie
Schüttemann die gewünschte Erlösung gebracht? Vielleicht sogar auf sein
drängendes Bitten hin?«
    Ein scharfer Blick
durchbohrte Christoph. »Ich habe lange als Krankenschwester gearbeitet. Diesen
Beruf habe ich gewählt, weil mir das Helfen Freude bereitet. Da ist es nicht
nur eine Frage der Ethik, zwischen Denken und Tun zu unterscheiden.«
    »Es wäre nicht das
erste Mal, dass überfordertes Pflegepersonal nach eigenen Moralbegriffen
handelt.«
    »Ich lese Zeitungen.
Über solche Fälle, die sich leider jedes Jahr wiederholen, fällt die
Boulevardpresse mit Begeisterung her. Nein! Ganz entschieden. Weder ich noch
eine meiner Kolleginnen haben sich versündigt.«
    Sie war
aufgestanden. »Tut mir leid, aber ich muss weiter. Ich fürchte, ich kann Ihnen
nicht behilflich sein.« Sie wandte sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal
um. »Wenn es wirklich ein unnatürlicher Tod war, was ich nicht glaube, dann
sollten Sie auch Täter außerhalb des Hauses in Betracht ziehen. Da war so ein
junger Typ, der es vor circa einem halben Jahr bei Frau Beckerling mit dem
sogenannten Enkeltrick versucht hat. Der Mann hat sich am Telefon als ihr Enkel
ausgegeben und behauptet, er befinde sich in einer aktuellen Notlage, aus der
er sich nur befreien kann, wenn sie ihm kurzfristig Geld zur Verfügung stellen
würde, das ein guter Freund entgegennimmt.«
    »Und?«
    Sie lachte kurz auf.
»Frau Beckerling hat weder Kinder noch Enkel. Sie hat es dem Baron erzählt, der
die Betrugsmasche sofort durchschaute und sie auf dem Weg zur Bank beschattet
hat. Als der vermeintliche Freund nach dem Bankbesuch Frau Beckerling
angesprochen hat, hat sich von Hasenteuffel eingemischt und den Mann
davongejagt.«
    »Warum haben Sie
nicht die Polizei eingeschaltet? Das wäre doch das Naheliegende gewesen.«
    »Das kann ich Ihnen
nicht beantworten. Aber der Betrüger hat damit gedroht, sich an den Alten vom
Heim zu rächen.«
    Damit verließ sie
das Schwesternzimmer.
    Christoph fuhr mit
einer Menge neuer Fragen zurück zur Dienststelle.
    *
    Leise war das Klacken

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