Todeshaus am Deich
in Christophs Augen eine Antwort auf
die Frage, wie viel der Polizeibeamte wusste.
»Wie kommen Sie
darauf? Wir haben einen exzellenten Leumund. Deshalb trifft es uns umso härter,
wenn wichtigtuerische Ärzte wie diese Dr. Michalke dafür sorgen, dass Zweifel
an der natürlichen Todesursache eines hochbetagten und schwerkranken Mannes in
Umlauf gesetzt werden. Was meinen Sie, wie uns der Presserummel um diese Sache
schadet? Und Sie«, Brodersen zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Christoph,
»werde ich auch dafür verantwortlich machen.«
»Die Ärztin hat
korrekt und richtig gehandelt. Und weil diese Zweifel nicht ausgeräumt sind,
ermitteln wir in dieser Angelegenheit.«
»Sie sollten lieber
nach Frau Beckerling suchen.«
»Suchen Sie auch?«,
entgegnete Christoph ungerührt. »Schließlich haben Sie eine Fürsorgepflicht
gegenüber Ihren hilfebedürftigen Bewohnern.«
»Wir haben alles
Erdenkliche unternommen, was in unserer Macht steht. Letztendlich sind wir
nicht für alles verantwortlich, was die alten Leute aushecken. Es handelt sich
um mündige Menschen, die für ihr Tun verantwortlich sind.«
»In Ihrem Haus
ereignen sich in der letzten Zeit merkwürdige Dinge. Kann es sein, dass diese
von außerhalb initiiert werden, um Unruhe zu stiften und um Sie persönlich in
eine schwierige Situation zu manövrieren?«
Instinktiv blickte
Brodersen zum Brief der Finanzierungsgesellschaft.
»Wie kommen Sie
darauf?«, empörte sich der Heimleiter.
»Nun ja, es lässt
sich doch nicht leugnen, dass jemand im Heim Unruhe schafft. Die Frage ist nur,
ob der Urheber innerhalb der Bewohner oder des Personals zu suchen ist oder ob
Außenstehende diese kleinen Bösartigkeiten planen.«
»Sie sind auf einem
völlig falschen Dampfer. Wer hat etwas vom Tod des alten Mannes? Kein Erbe,
keine Angehörigen. Für Schüttemann war es eine Erlösung. Und bei uns bleibt das
Problem hängen. Wer kümmert sich um die Beerdigung? Wissen Sie, welcher Aufwand
damit verbunden ist? Und wer trägt die Kosten für die Beisetzung?«
Christoph musterte
Brodersen eindringlich. Der Heimleiter wich seinem Blick aus.
»Sind die Menschen,
die sich Ihrem Haus anvertrauen, für Sie nur betriebswirtschaftliche Größen?«,
fragte Christoph. »Ich höre aus Ihrem Mund immer nur: Es kostet, wer soll das
bezahlen und so weiter.«
Brodersen hob eine
Handvoll Blätter von der Arbeitsfläche in die Höhe und ließ sie dekorativ
wieder fallen.
»Sie haben gut
reden. Jeder dröhnt herum, dass die alten Menschen den Lebensabend in Frieden
und Würde verbringen sollen, dabei liebe- und aufopferungsvoll gepflegt werden.
Das ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Das Personal arbeitet nicht umsonst,
die Kosten steigen permanent. Allein der Energieaufwand verschlingt Unsummen.
Und – Sie mögen es mir glauben oder nicht – alte Leute frieren verdammt
schnell. Sie haben keine Vorstellungen, was wir allein für die Heizung bezahlen
müssen. Die Alten werden bei uns abgestellt und vergessen. Aber kosten darf es
nichts.«
Brodersen sank
erschöpft in seinen Stuhl nach hinten. Nach einer Pause fuhr er fort: »Mein
Arbeitsalltag besteht darin, immer wieder den Spagat zwischen steigenden Kosten
und stagnierenden Einnahmen hinzubekommen. Jeder verachtet mich für mein
kaufmännisches Vorgehen, aber dass der Laden brummt, erwarten dennoch alle.
Woher das Geld kommt – darüber denkt keiner nach.«
Im Stillen musste
Christoph dem Mann recht geben. »Und wie soll es weitergehen? Haben Sie
Perspektiven?«
Der Heimleiter
zuckte resignierend mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht.
Wir leben von der Hand in den Mund. Aber irgendwie muss es weiterlaufen. Und
darum, so pietätlos es auch klingen mag, ist mir sehr daran gelegen, die frei
gewordenen Plätze wieder zu belegen.«
»Wieso Plätze? Sie
sprechen von der Mehrzahl?«
»Was? Wie?« Brodersen
fuhr sich fahrig mit der Hand durch das Gesicht. »Ich meine, falls weitere
Plätze frei werden sollten«, stammelte er ausweichend.
Als Christoph den
Raum verließ, musste er dem Mann in manchen Punkten Abbitte leisten. Die Anlage
war wirklich in einem gepflegten äußeren Zustand. Die Räumlichkeiten machten
einen sauberen Eindruck, und die Bewohner, denen Christoph bisher begegnet war,
schienen gut betreut und versorgt zu sein. Das galt auch für den an Alzheimer
erkrankten schlanken Mann, dessen Namen Schwester Anke mit Steinträger
angegeben hatte, der ihm auf dem Gang mit flottem Schritt entgegenkam und der
vor
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