Todeshaus am Deich
das Lachen ein.
»Noch ‘nen schönen
Tag«, wünschte Christoph und ließ zwei alte Männer zurück, die sich mangels
anderer Gelegenheiten ihren Spaß am Lebensabend selbst schufen.
Die Tür zum Büro des
Heimleiters war nur angelehnt. Nachdem Christoph auf sein Klopfen keine Antwort
erhalten hatte, schob er die Tür ganz auf und trat ein. Der Raum war leer,
obwohl der flimmernde Bildschirm auf dem Schreibtisch anzeigte, dass Brodersen
seinen Arbeitsplatz nur kurz verlassen hatte.
Christoph sah sich
um. Der Raum war nüchtern eingerichtet. Der Holzschreibtisch mit dem
handelsüblichen Bürostuhl mit Stoffbespannung, der Besprechungstisch mit vier
ebenfalls bespannten Stühlen, ein Sideboard und ein Regal, in dem Bücher und
Ordner standen. Naive Malerei an den Wänden lockerte die triste
Arbeitsatmosphäre ein wenig auf. Die Ordnerbeschriftung gab nichts her.
Bestellungen, Schriftwechsel, Angebote, Pflegeversicherung lauteten die
handschriftlich aufgebrachten Inhaltsangaben. Ebenso interessant war die
Auswahl der Bücher: Das Sozialgesetzbuch, das Handbuch der Altenpflege, eine
Anleitung für die optimale Benutzung der Textverarbeitung. Christophs Blick
fiel auf die Arbeitsfläche des Schreibtisches. Ein offener Brief erregte seine
Aufmerksamkeit. Im Briefkopf prangte in Fettdruck ein phantasievolles Wappen,
darunter befand sich der Schriftzug einer Finanzberatung. Hastig überflog
Christoph den Text. Darin kündigte das Unternehmen unter Bezug auf einen
Vertrag die Beteiligung an der Hauke-Haien-Residenz und forderte Brodersen
ultimativ auf, einen hohen sechsstelligen Eurobetrag bis Mitte Mai an die
ehemaligen Kapitalgeber zurückzuzahlen. Anderenfalls würde seitens des
Unternehmens der Rechtsweg beschritten.
Ein zweiter Brief
erregte ebenfalls Christophs Aufmerksamkeit. In ihm teilte ein Ferdinand von
Hasenteuffel-Stichnoth dem »sehr geehrten Herrn Brodersen« kurz entschlossen
mit, dass man seitens der Familie unter keinen Umständen bereit wäre, künftig
einen höheren monatlichen Betrag für die Unterbringung des Familienmitgliedes
zu entrichten. Der Schreiber verwies darauf, dass die Residenz einen Fixpreis
garantiert habe, bis der hohe Einmalbetrag, den man bei Einzug für den
Verwandten entrichtet hatte, durch die monatlich abzurechnenden Raten
verbraucht sei.
»Wer hat Ihnen
erlaubt, in mein Zimmer einzudringen?«, hörte Christoph hinter seinem Rücken
die schnarrende Stimme Brodersens. Zornig eilte der Heimleiter um seinen
Schreibtisch herum und legte eine Unterschriftenmappe auf die offenen Briefe.
»Es gibt ein
Postgeheimnis, das auch Sie zu beachten haben.«
»Ich bin nicht in
Ihr Büro eingedrungen, sondern habe auf Sie gewartet, nachdem Sie um den Besuch
der Polizei gebeten hatten«, sagte Christoph mit ruhiger Stimme.
»Ist es nicht
üblich, dass Sie zuerst zu mir kommen, wenn Sie hier im Hause sind, anstatt
sich mit allen möglichen anderen Leuten zu unterhalten? Schließlich trage ich
hier die Verantwortung.« Brodersen zeigte sich erstaunlich gut informiert über
Christophs heutigen Aufenthalt im Seniorenheim.
»Die Auswahl meiner
Gesprächspartner müssen Sie schon mir überlassen«, belehrte ihn Christoph,
konnte Brodersens Groll damit aber nicht besänftigen.
»Es ist wenig
hilfreich, wenn Sie alle Hinweise, aus denen sich die Urheberschaft für den
Streich hätte ableiten lassen können, beseitigen lassen und uns erst danach
verständigen.«
Der Heimleiter ging
auf den Vorwurf nicht ein. »Der Attentäter muss jemand aus dem Haus gewesen
sein. Als die Untat entdeckt wurde, waren noch alle Außentüren verschlossen. Es
kann also nur ein Insider gewesen sein, zumal es auch keine Anzeichen dafür
gibt, dass sich ein Fremder eingeschlichen hat.«
Christoph dachte an
die beiden seltsamen alten Käuze, deren Tagewerk darin zu bestehen schien, sich
über Kleinigkeiten köstlich zu amüsieren.
»Ich würde das Ganze
nicht zu hoch bewerten. Vielleicht ist es nur ein wenig aus den Fugen geratener
Streich älterer Menschen.«
»Das kann ich nicht
gelten lassen. Solche Taten stören unseren Tagesablauf nachhaltig. Und sie
verursachen Kosten.«
Christoph erinnerte
sich an den Brief und an die Gerüchte um wirtschaftliche Probleme des
Heimleiters, die ihm von anderer Seite zugetragen worden waren.
»Ist die finanzielle
Situation bei Ihnen so drückend, dass Ihnen solche unbedeutenden Geschehnisse
schon Kopfzerbrechen bereiten?«
Brodersen hielt
einen Augenblick die Luft an und suchte
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