Todeshaus am Deich
Annähern
öffneten, schwoll ihnen das Durcheinander vieler aufgeregter Stimmen entgegen.
Mitten unter den Bewohnern entdeckte Christoph Thordsen. Auch der Kapitän hatte
Christoph bemerkt und bahnte sich einen Weg zu ihm. Der alte Mann trug – wie
immer – seine Schippermütze. Es fehlte ihm jedoch die Fröhlichkeit, die einem
sonst aus seinen lebhaften Augen entgegensprang.
»Sagen Sie mir, Herr Kommissar, was ist geschehen?«,
fragte Thordsen mit brüchiger Stimme und stellte sich Christoph und Mommsen in
den Weg.
»Das kann ich Ihnen auch noch nicht sagen.«
»Was ist mit meinem Freund Harry?«
Jetzt wusste Christoph zumindest, dass Harry Seelig im
Mittelpunkt der Unruhe stand.
»Wo ist sein Apartment?«, antwortete Christoph mit
einer Gegenfrage.
»Ähh – oben. Dann links. Was ist mit ihm? Ist er – ähh
– tot?« Aus Thordsen Stimme klang die tiefe Besorgnis.
Christoph schob den Mann vorsichtig zur Seite, der
keine Anstalten machte, den Weg freizugeben. Mommsen folgte ihm die helle
Holztreppe ins Obergeschoss hinauf. Sie hielten sich links und sahen schon von
Weitem die kleine Gruppe im breiten Flur, die vor einer der abzweigenden Türen
stand und aufgeregt diskutierte.
Christoph erkannte den Hausmeister, Oberschwester
Dagmar in Zivil, zwei Heimbewohner, die ihm schon einmal auf dem Gelände
begegnet waren, und einen uniformierten Polizisten, der im Türrahmen stand und
den Zugang zu Seeligs Räumen versperrte.
Er schob die Leute zur Seite, öffnete die Tür und trat,
gefolgt von Mommsen, ein.
Fast gleichzeitig drehten sich alle Anwesenden im Raum
um und musterten die beiden Beamten neugierig. Um Seeligs Bett hatten sich
Schwester Anke, Brodersen und Kommissar Thomas Friedrichsen, der
Streifenführer, geschart. Auf der Bettkante saß Frau Dr. Michalke. Sie hatte
ihr Stethoskop locker um den Hals hängen, während sie damit beschäftigt war,
eine Spritze aufzuziehen.
Friedrichsen zog Christoph und Mommsen in den
hintersten Winkel des Raumes und erklärte leise: »Wir wurden von der Zentrale
informiert. Ich habe bisher nur in Erfahrung bringen können, dass man Seelig
offenkundig leblos in seinem Bett gefunden hat.«
Christoph beobachtete, wie die Ärztin die Spritze im
Ellenbogen des alten Mannes ansetzte und dann millimeterweise den Inhalt der
Kanüle in den Körper spritzte. Das war ein gutes Zeichen, dachte Christoph,
denn Toten verabreicht man keine Arzneien mehr.
»So«, sagte Dr. Michalke, als sie Seeligs Arm wieder
zugedeckt hatte. »Hoffen wir nun das Beste.« Zu Christoph gewandt fügte sie
hinzu: »In diesem Haus geschehen allerhand Merkwürdigkeiten. Deshalb habe ich
Sie verständigt. Ich denke, Sie sollten es wissen und Ihre eigenen Rückschlüsse
daraus ziehen.«
»Was ist denn passiert?«
»Eigentlich gar nichts«, mischte sich Brodersen ein
und warf Schwester Anke einen bösen Blick zu. »Herr Seelig ist heute Morgen
nicht zum Frühstück erschienen. Er versorgt sich zu großen Teilen selbst,
sodass uns sein Fehlen erst aufgefallen ist, als sein Platz im Speisesaal leer
geblieben ist. Herr Thordsen hat uns darauf aufmerksam gemacht, weil es in der
Vergangenheit noch nie vorgekommen ist, dass die beiden Männer nicht gemeinsam
zum Essen gekommen sind.«
»Und dann?«
Schwester Anke meldete sich zu Wort.
»Ich bin daraufhin zu seinem Zimmer gegangen. Und als
auf mein Klopfen keine Reaktion erfolgte, habe ich geöffnet und Herrn Seelig in
seinem Bett vorgefunden. Er lag auf dem Rücken, atmete nur ganz flach und war
nicht ansprechbar. Ich habe den Puls gemessen, der für seine Verhältnisse zu
niedrig war. Daraufhin habe ich nachgesehen, welcher Arzt Notdienst hat, und
Frau Dr. Michalke benachrichtigt.«
Christoph erinnerte sich, dass Anna ihm erzählt hatte,
Seelig sei eigentlich Patient bei Dr. Hinrichsen und würde mit Anna stets um
die zehn Euro Praxisgebühr zocken.
»Die Nerven liegen blank, sonst hätte sich Schwester
Anke nicht zu dieser unüberlegten und voreiligen Handlung hinreißen lassen«,
kritisierte Brodersen.
»Moment mal«, widersprach ihm Dr. Michalke mit ruhiger
Stimme. »Es war das einzig Richtige, was Ihre Mitarbeiterin gemacht hat.
Schließlich war nicht erkennbar, warum der Patient nicht ansprechbar war.«
»Sie hätten die Lage objektiver einschätzen müssen«,
ritt Brodersen beharrlich auf seiner Kritik an Anke herum. »Den Notarzt zu
alarmieren … Das war zu hektisch. Und schon gar nicht die da«, dabei zeigte er
auf Dr. Michalke. »Es
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