Todeshaus am Deich
zog einen Schmollmund.
»Meine Heimat ist
hier«, behauptete er.
»Ich meine
Nordrhein-Westfalen. Da herrschen doch enorme Gegensätze zwischen den
Rheinländern und dem Rest. Nicht umsonst heißt es auch ›Restfalen‹.«
»Danke für die
Belehrung«, knurrte Große Jäger. »Im Übrigen zum Thema Heimat: Die ist nicht
dort, wo man geboren wurde, sondern dort, wo man sterben möchte.«
Der Oberkommissar
hatte die Unterlippe angrifflustig vorgeschoben. »Ob Heimat in diesem Sinne
auch das ist, wo man unfreiwillig stirbt, weil man ermordet wurde?«, schob er
hinterher.
»Wir brauchen von
euch noch ein Protokoll«, sagte Friedrichsen, der dem Dialog still gefolgt war.
Große Jäger zeigte
auf Mommsen.
»Dafür ist das Kind
zuständig. Schließlich hat der mit dem Streit in der Disco angefangen. Und wenn
Harm das nicht machen will, dann kann er ja Karlchen beauftragen, das Papier zu
verfassen.«
Große Jäger kratzte
sich die Nase, dann sah er auf die Uhr. »Kommt jemand mit zum Essen?«
Christoph warf
Mommsen einen sorgenvollen Blick zu, den der Oberkommissar auch bemerkt hatte.
»Heute ist Montag«,
sagte Große Jäger. »Und du wirst nicht behaupten wollen, dass du diese Woche
schon Pommes hattest.«
»Ich habe mein
Mittagessen an Bord«, wehrte Mommsen ab.
Christoph gelang es
immerhin, den Oberkommissar davon zu überzeugen, dass es auch andere
Möglichkeiten als Burger und Currywurst gab.
Nach dem Essen nahm
Große Jäger die Notiz mit den Anschriften der Mädchen namens Sabrina zur Hand
und schrieb sich drei Namen daraus auf. »Die besuche ich«, hatte er
beschlossen. »Die anderen übernimmst du, Harm.« Dann sah er Christoph an, der
die Stirn krausgezogen hatte.
»Ich unterstelle,
dass du damit einverstanden bist«, sagte er. Was sollte Christoph auch dagegen
einzuwenden haben?
Als die beiden das
Büro verlassen hatte, rief Christoph in der Seniorenresidenz an und ließ sich
mit der Pflegedienstleiterin verbinden. Es dauerte eine Weile, bis er Dagmar am
Apparat hatte.
»Wie geht es Harry
Seelig?«
»Anscheinend wieder
gut. Ich hatte am Sonntag frei, habe mir aber berichten lassen, dass er sich
ruhiger als sonst verhalten hat und nach einer Kopfschmerztablette verlangte.
Das scheinen aber alle Folgen der Aktion gewesen zu sein.«
»Wissen Sie, welcher
Arzt die Blutentnahme vorgenommen hat, damit wir eine Laboranalyse durchführen
können?«
Schwester Dagmar
schwieg einen Moment, bevor sie zögerlich antwortete: »Ich fürchte, dass keine
Blutabnahme mehr erfolgt ist. Für so etwas finden Sie am Sonntag keinen Arzt.«
Im Stillen musste
ihr Christoph recht geben. So würden sie auf die Vermutungen, die Dr. Michalke
geäußert hatte, angewiesen bleiben.
»Bei Ihnen häufen
sich die Absonderlichkeiten in der letzten Zeit«, stellte Christoph fest.
»Stimmt«, sagte
Dagmar. »Heute gab es wieder so eine Sache. Plötzlich war der Strom weg. Nach
ein paar Sekunden sprang dann unser Notstromaggregat an. Wir waren zuerst ein
wenig erschrocken, und Gerd, unser Hausmeister, hat dann versucht, die Ursache
zu ergründen. Da muss sich jemand in unsere Elektrozentrale geschlichen und
irgendetwas an der Hauptsicherung manipuliert haben. Ich verstehe zu wenig von
Technik, um Ihnen das genau erklären zu können. Es war wohl auch nicht weiter
schlimm, aber trotzdem … Diese kleinen Dinge häufen sich in der letzten Zeit.«
»Ich nehme an, die
Räume der Haustechnik sind verschlossen und nur ein begrenzter Personenkreis
hat dorthin Zugang?«
»So ist es. Ich
selbst habe zwar einen Generalschlüssel, trotzdem bin ich so gut wie nie in diesem
Gebäudeteil gewesen.«
»Könnte das Ganze
einen harmlosen technischen Grund haben?«
»Wie gesagt – die
Technik ist nicht mein Revier. Aber Gerd hat erklärt, dass sich jemand
mutwillig an die Anlage herangemacht hat. Es ist zwar nichts zerstört worden, aber
wir waren trotzdem erschrocken.«
»Wer könnte sich
noch Zutritt zu den Technikräumen verschaffen?«
»Ja – wer könnte da
rein?«, fragte Dagmar mehr rhetorisch. »Es kommt immer wieder vor, dass jemand
vom Personal einen Schlüsselbund liegen lässt. Den könnte sich dann in einem
unbewachten Augenblick jeder greifen.«
»Vermisst jemand aus
dem Kreis der Mitarbeiter seine Schlüssel?«
»Davon ist mir
nichts bekannt. Ich glaube, ich hätte es gehört, weil das bei unserem
Schließsystem ein teurer Spaß wäre. Sie müssten im schlimmsten Fall ja alle
Schlösser austauschen. Aber – warten Sie«,
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