Todeshaus am Deich
ein.
Im Aufblitzen der Augen der Ärztin erkannte Christoph,
dass der Oberkommissar mit dieser vorlauten Bemerkung jede
Gesprächsbereitschaft unterbunden hatte.
»Sie wissen vielleicht, dass Ihr Kollege Dr.
Hinrichsen oft mit der Polizei zusammenarbeitet und von uns bei unklaren
Todesursachen zurate gezogen wird«, versuchte Christoph die Situation zu
retten.
»Woran ist Herr von Hasenteuffel Ihrer Meinung nach
gestorben?«, fragte Dr. Michalke.
»Es sieht aus wie ein Herzinfarkt. Über die genaue
Todesursache vermögen wir noch nichts zu sagen. Aufschluss darüber wird die
Autopsie geben.«
Die Ärztin lehnte sich in ihrem Armlehnstuhl zurück.
»Erinnern Sie sich, wie sich Herr Brodersen aufgeführt
hat, als ich bei Paul Schüttemann Zweifel an einer natürlichen Todesursache
hatte? Er hat vehement auf die Anerkennung eines natürlichen Todes gedrungen.
Haben Sie den Mann schon einmal näher beleuchtet?«
Zu Christophs Verärgerung erwiderte Große Jäger: »Wir
möchten mit Ihnen nicht unsere Ermittlungsarbeit diskutieren. War von
Hasenteuffel Ihr Patient?«
Dr. Michalke griff zu einem Kugelschreiber und ließ
ihn gedankenverloren um ihre Finger kreisen. Dann sah sie den Oberkommissar mit
festem Blick an.
»Sie meinen Herrn von Hasenteuffel-Stichnoth!
Haben Sie schon einmal etwas von der ärztlichen Schweigepflicht gehört?«
»Der Mann ist tot, und wir ermitteln in diesem Fall«,
warf Christoph ein.
»Meine Verschwiegenheit gilt auch über den Tod
hinaus.«
»Wir wissen, dass Sie den Mann gestern besucht haben.«
Dir Ärztin zog eine Augenbraue hoch. »Habe ich das?«
»Ja. Das haben uns Zeugen bestätigt. Für mich stellt
sich die Frage: warum? Vor Ihrem Besuch machte er einen ausgesprochen gesunden
und vitalen Eindruck.«
»Schön. Dann wissen Sie ja einiges.«
»Warum waren Sie bei Herrn von Hasenteuffel?«
Statt einer Antwort kehrte Dr. Michalke nur die
Innenfläche der Hände zu einer nichtssagenden Geste nach außen.
»Was haben Sie dem Mann mit der Injektion
verabreicht?«, hakte Christoph nach.
Die Ärztin sah auf die kleine in Kristallglas gefasste
Uhr auf ihrem Schreibtisch.
»Meine Herren. Sie müssen mich entschuldigen. Da
draußen sitzen Menschen, die dringend auf meine Hilfe warten.«
»Sie werden noch von uns hören«, drohte Große Jäger.
»Dem sehe ich gelassen entgegen«, erwiderte Dr.
Michalke ohne jede sichtbare Erregung.
*
Auf dem Rückweg von der Praxis der Ärztin hatte
Christoph gegen Große Jägers Protest den Weg zum Finanzamt eingeschlagen.
»Ich bin zur Polizei gegangen, weil man mich bei der
Luftwaffe nicht mehr haben wollte. Und die Alternative Infanterie habe ich
abgelehnt, weil ich kein berufsmäßiger Marathonläufer werden wollte. Was soll
es, wenn du mich jetzt dazu umerziehen willst?«
Christoph hatte dem Oberkommissar nur mit einem Blick
geantwortet. Tatsächlich betrug der Umweg vielleicht fünfzig Meter.
»Frau Willich ist nicht im Amt«, erklärte man ihnen
bei der Behörde. »Sie hat aus privaten Gründen Urlaub genommen. Dabei war sie
gerade einen Tag wieder hier seit ihrem letzten Urlaub.« Der Mann, der ihnen
diese Information unterbreitete, hatte in einem nahezu anklagenden Tonfall
gesprochen. Es hörte sich an, als würde er die beiden Beamten, die sich nicht
als Polizisten zu erkennen gegeben hatten, persönlich dafür verantwortlich
machen, dass Frau Willich schon wieder der Pflichterfüllung im Amt entflohen
war.
Kurz darauf kehrten sie zur Dienststelle zurück,
nachdem Große Jäger noch darauf bestanden hatte, in die gegenüberliegende
Bahnhofsanlage zu gucken und zu prüfen, ob eine Spur von Thorben Althoff zu
entdecken war.
Als sie die Tür zu ihrem Büro öffneten, stutzten sie.
Auf dem Besucherstuhl vor Mommsens Schreibtisch saß ein Mann, der Christoph
bekannt vorkam. Ihm fiel im Moment nicht ein, woher. Erst als Große Jäger auf
den Mittdreißiger zusteuerte, ihm herzlich die Hand drückte und »Moin, Herr
Dahl« sagte, erinnerte sich Christoph an den Familienvater, dessen Frau und
Tochter vor fast drei Jahren ermordet worden waren. Es war sein erster Fall in
Husum gewesen.
»Hallo, Herr Dahl.« Auch er schüttelte dem Mann die
Hand. »Wie geht es Ihnen?«
»Och, danke, so weit eigentlich ganz gut«, antwortete
Dahl zögernd und nahm einen Schluck Kaffee, den Mommsen ihm angeboten hatte.
»Ich hab ‘n büschen Glück gehabt. Bin nun nich mehr arbeitslos, sondern seit
anderthalb Jahren bei Autokraft als Busfahrer. Macht
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