Todeshaus am Deich
Vielleicht hatte Große Jäger mit seinem untrüglichen
Instinkt recht.
»Wer sollte ein Interesse am Tod so unterschiedlicher
Menschen wie den drei Opfern haben?«, fragte Christoph.
Keiner konnte die Frage beantworten. Dann versuchte
Christoph erneut, den Oberstaatsanwalt in Flensburg zu erreichen.
»Wissen Sie, mit welchem Betrag mich eine Autopsie
belastet? Haben Sie eine Vorstellung, wie man unseren Etat beschnitten hat?«,
maulte Dr. Breckwoldt.
Christoph spürte, dass es mehr der Ärger über die von
Kiel verordneten Sparzwänge als über Christophs Ansinnen war, der den
Flensburger zu einem solchen Grummeln veranlasste. Dann ließ sich der
Oberstaatsanwalt den Sachverhalt und den Verdacht der Husumer erläutern.
»Wenn Sie mir zusichern, nicht jeden Todesfall in
Nordfriesland zur Rechtsmedizin nach Kiel zu schicken, stimme ich zu«, schloss
der Oberstaatsanwalt.
Mommsen hatte zugehört und versicherte Christoph,
alles Weitere zu veranlassen. Im Stillen war er wohl froh, damit der leidigen
Fußballdiskussion mit Große Jäger zu entfliehen.
»Wenn wir täglich eine neue Leiche aus Husum zur
Rechtsmedizin nach Kiel einliefern … Vielleicht gibt es die Untersuchungen im
Abo günstiger?«, kommentierte der Oberkommissar. »Wie gut, dass der
Scheiß-Starke keine Wanze bei uns angebracht hat. Wenn er uns belauschen könnte
… Und Thorben Althoff jagen wir auch noch vergeblich hinterher. Übrigens …«, er
drehte sich zu Christoph um, »das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung von
Trude Beckerling ist eingegangen. Die von ihr eingenommenen Schlaf- und
Beruhigungsmittel waren nicht die Todesursache. Die Arzneien sind in
therapeutisch vorgeschriebenen Dosen verabreicht worden. Die Frau ist eindeutig
wegen des Ausbleibens der Dialyse ums Leben gekommen. Dafür hatte der
Kaninchensatan einen schönen Tod, so wie du es geschildert hast.«
»Wann ist das Ableben eines Menschen schön,
Wilderich?«, fragte ihn Christoph. »Zumal wenn der Verdacht im Raum steht, dass
jemand nachgeholfen hat.«
»Irgendwann müssen wir alle abtreten«, philosophierte
Große Jäger. »Aber wenn jemand dem lieben Gott ins Handwerk pfuscht, dann
sollten wir den Übeltäter schon finden. Uns bleiben ja nicht mehr viele. Eine
halbe Handvoll Bewohner des Altenheimes, die schweigsame Nichte, die nicht
verraten möchte, wo sie sich aufgehalten hat, das Personal, der Heimleiter und
…«
»Frau Dr. Michalke«, ergänzte Christoph. »Die soll uns
erklären, warum sie gestern einen meiner Meinung nach gesunden und vitalen von
Hasenteuffel besucht und ihm eine Spritze verabreicht hat. Der Mann war zwanzig
Jahre älter als ich. Diesen Unterschied hat man bei unserer gestrigen
Deichwanderung aber nicht gespürt.«
Große Jäger stand auf. »Komm«, sagte er zu Christoph.
Es bedurfte keiner weiteren Erklärung, dass er in diesem Augenblick die Ärztin
in ihrer Praxis besuchen wollte.
Auf dem Flur gab es noch einen kurzen Disput, weil der
Oberkommissar das kurze Stück bis zur Hohlen Gasse, in der Dr. Michalke in
einem alten Backsteinbau praktizierte, unbedingt mit dem Auto zurücklegen
wollte. Doch Christoph setzte sich durch, und so schritten sie zügig Richtung
Zentrum. Sie passierten das neue Rathaus, die kleinen Geschäfte am Zingel und
umrundeten den Binnenhafen. Es war Flut, und ein paar Kähne dümpelten im
brackigen Wasser. Auch die Nordertor, ein altes Passagierschiff, das früher die
Inseln und Halligen bediente und nun ein Restaurantschiff war, lag friedlich am
Kai. Die Wasserreihe mit ihrem holprigen Pflaster und den malerischen Häusern
war ebenso menschenleer wie die Hafenstraße. Lediglich in der Hohlen Gasse
beeilte sich eine ältere Frau, vor den beiden Beamten die ausgetretenen Stufen
zum Eingang der ärztlichen Praxis zu erklimmen. Atemlos nannte sie der
Sprechstundenhilfe ihren Wunsch, »Frau Doktor« konsultieren zu wollen, und
ergänzte mit einem Blick auf die Polizisten: »Ich war aber zuerst da.«
Es half ihr nichts.
Nachdem eine Mutter mit einem kleinen Kind auf dem Arm
das Behandlungszimmer verlassen hatte, wurden Christoph und Große Jäger
vorgelassen.
»Herr von Hasenteuffel-Stichnoth ist tot«, erklärte
Christoph.
Dr. Michalke sah erschrocken auf.
»Oh. Wann ist das passiert?«, fragte sie, um sofort
hinterherzuschicken: »Warum hat man mich nicht informiert?«
»Wir hielten es für besser, die Todesursache durch
einen neutralen Mediziner feststellen zu lassen«, mischte sich Große Jäger
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