Todesinstinkt
der US Treasury.«
»Wie ein Gott.« Lächelnd wischte sich Littlemore über die Augen. »Da erkenne ich mich sofort wieder.«
D ie Morgenzeitungen bestätigten Brightons Kummer. Der designierte Präsident Mexikos, General Álvaro Obregón, hatte Truppen in Silberminen entsandt, die in amerikanischem Besitz waren. Er drohte damit, bei den ungleich lukrativeren Ölquellen genauso zu verfahren, und behauptete, die Amerikaner hätten sich die Bohrrechte durch illegale,
korrupte Transaktionen mit dem prärevolutionären Regime angeeignet.
D ie American Society for Psychical Research verfügte über einen vollkommen unspirituellen Hauptsitz an der East Twenty-third Street in Manhattan, wo wissenschaftliche Veröffentlichungen – vor allem aus dem eigenen Haus – präsentiert wurden. Nirgends ein Hinweis auf Okkultes. Der geschäftsführende Direktor Dr. Walter Franklin Prince war genauso nüchtern in seinem Auftreten. Er war ein umgänglicher, ungefähr sechzigjähriger Mann mit breitem Gesicht und Geheimratsecken und rauchte eine Pfeife mit ungewöhnlich großem Kopf.
Am folgenden Vormittag schüttelte Littlemore dem Direktor die Hand. »Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Dr. Prince. Ein Bekannter hat mir gesagt, dass Ihre Organisation sich mit übernatürlichen Erscheinungen auskennt.«
»Sehr erfreut, dass ich Ihnen behilflich sein kann«, erwiderte Prince. »Meine Sekretärin Miss Tubby hat mir erzählt, dass Sie an Mr. Edwin Fischers Fähigkeit zweifeln, in die Zukunft zu blicken.«
»Stimmt, aber ich höre mir gern Ihre Meinung an.«
»Selbstverständlich ist so etwas möglich. Vorahnungen einer Katastrophe sind weit verbreitet. Im Jahr 1902 habe ich selbst bis ins Detail von einem Zugunglück geträumt, das vier Stunden später tatsächlich eingetreten ist. Im Jahr 1912 hat Mr. J. C. Middleton nach dem Erwerb von Karten für die Jungfernfahrt der Titanic in zwei aufeinanderfolgenden Nächten davon geträumt, dass das Schiff sinkt und seine Passagiere in der eisigen See ertrinken. Er hat die Reise nicht angetreten und dadurch überlebt.«
»Er hat aber nicht zufällig jemandem davon erzählt, bevor das Schiff untergegangen ist?«
»Das hat er allerdings. Ansonsten würde ich es gar nicht erwähnen. Mit Leuten, die im Nachhinein hellsichtig sind, habe ich nichts zu schaffen. Mr. Middleton war so beunruhigt, dass er es sofort seiner Frau und mehreren Freunden mitteilte. Ihre eidesstattlichen Erklärungen liegen in meiner Schublade. Ich habe mich bereits mit dem Fall Fischer befasst und bin aufgrund der Beweise davon überzeugt, dass seine Vorahnung authentisch war.«
»Fischer meint, es ist ihm ›aus der Luft‹ zugeflogen«, antwortete Littlemore. »Sagt Ihnen das was?«
»Er hätte es nicht treffender ausdrücken können. Wenn wir ein Funkeln am Nachthimmel bemerken, Captain, was sehen wir dann?«
»Ähm ... einen Stern, denke ich.«
»Wir sehen die Vergangenheit. Das Universum, wie es vor Jahrhunderten existiert hat. Die Vergangenheit umgibt uns in jedem Augenblick, auch wenn wir sie nur selten wahrnehmen. Und so verhält es sich auch mit der Zukunft. Sie ist überall um uns in Form von Wellen oder Perturbationen, die für das bloße Auge nicht erkennbar sind – ganz ähnlich wie Funkwellen. Viele Menschen werden sich dieser Ströme flüchtig bewusst, beispielsweise an den Haaren oder im Nacken. Im Lauf der Zeit wird die Wissenschaft bestimmt ihre Molekularstruktur entschlüsseln. Doch im Hinblick auf ihren Ursprung kann es keinen Zweifel geben.«
»Ihren Ursprung?«
»Der Tod, Captain. Der Tod strahlt diese Energie in die Luft ab. Wenn eine schlimme Katastrophe droht, wird die Störung so stark, dass sie einen feinfühligen Menschen in
äußerste Aufregung versetzen kann. Unter Umständen erkennt er, wann und wo genau sie eintreten wird. Möglicherweise nimmt er eine Aura um Menschen wahr, die bald sterben werden. Oder er sieht im Voraus Bilder des Unglücks, wie es bei mir und Mr. Middleton der Fall war. Auch Edwin Fischer ist es so ergangen.«
Littlemore nickte. Er war nicht überzeugt, wollte aber nicht vorschnell urteilen. »Können diese Leute auch mehr wissen? Zum Beispiel, wer dahintersteckt?«
»Davon habe ich noch nie gehört. Es gibt Hinweise, dass die Seelen von Ermordeten, wenn man in der Geisterwelt zu ihnen Kontakt aufnimmt, verraten können, wer sie ermordet hat, aber ich weiß von keinem Fall, in dem ein derartiges Vorauswissen bei Lebenden dokumentiert wäre. Haben
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