Todesinstinkt
Sie Interesse, sich mit einem Medium in Verbindung zu setzen? Ich kenne eine äußerst fähige Person.«
»Fürs Erste nicht, Dr. Prince.«
»Würde es Ihnen helfen zu erfahren, wann der Anschlag geplant wurde?«
»Sehr sogar«, erwiderte Littlemore. »Glauben Sie, Fischer könnte das wissen?«
»Bei vorsätzlichen Morden kommt es fast nie zu Vorahnungen, ehe der Täter den Plan zur Tötung gefasst hat. Häufig tritt das Vorauswissen genau in diesem Augenblick ein. Fragen Sie Mr. Fischer, wann er zum ersten Mal eine Vorahnung hatte.«
»Danke, Dr. Prince, das mache ich vielleicht.«
M itte Oktober 1920 hielt der zunehmend angriffslustige Direktor Flynn vom Federal Bureau of Investigation im Astor Hotel erneut eine Pressekonferenz ab. Die wiederholte
Ankündigung einer unmittelbar bevorstehenden Anklageerhebung hatte sich nicht zu seinen Gunsten ausgewirkt. Der Fall war noch immer ungelöst. Niemand war vor Gericht gestellt worden. Bei einigen Herren von der Presse hatten sich Skepsis und Ernüchterung breitgemacht.
Nach Flynns Auffassung war das nicht seine Schuld. Schuld waren die Zeitungen, die von seinen Rückschlägen berichteten. Immer wenn sich eine seiner Spuren in nichts auflöste, machten die Blätter eine Story daraus: definitiv nicht das Verhalten, das Flynn von loyalen Amerikanern erwartete. Im Gegenteil, es war ein kriminelles Vergehen, sich über die Arbeit der Bundesbehörden zu mokieren. Deswegen saß jemand wie Eugene Debs auch im Gefängnis. Flynn hätte jeden dieser Reporter in Haft nehmen können. Er wusste, was sie sich am Telefon erzählten, denn seine Agenten hörten mit. Wenn diese Flegel noch immer unverdientermaßen in Freiheit waren, so hatten sie das ausschließlich seiner Großmut zu verdanken.
»Jeder von euch«, predigte Flynn, »sollte mir auf Knien danken. Aber darauf möchte ich heute nicht weiter eingehen. Stattdessen sorge ich dafür, dass ihr mehr von euren Zeitungen verkauft. Wir haben jetzt alles unter Dach und Fach. Das ist eure Story: Gestern Nachmittag hat mein Büro Informationen bekommen über die Identität und den Aufenhalt gewisser politischer Gefangener, während ihr Hampelmänner nichts mitgekriegt habt, weil ihr so damit beschäftigt wart, über irgendwelche Spinner zu schreiben.«
Die Stifte hingen reglos in der Luft, als ihre Besitzer vergeblich versuchten, dieser Aussage einen Sinn abzugewinnen.
»Alles schon wieder vergessen, ihr Tölpel?«, legte Flynn nach. »›Befreit die polietischen Gefangenen‹ — so steht es in den anarchistischen Wurfsendungen. Und wer genau sind diese politischen Gefangenen? Findet die Antwort darauf, und der Fall ist praktisch geklärt.«
»Aber letztes Mal haben Sie gesagt, Tresca war es, Chief«, wandte ein Reporter ein. »Dann hält Tresca in Brooklyn eine öffentliche Rede, und Sie nehmen ihn nicht mal fest. Was soll das?«
»Ich zeige Ihnen gleich, was das soll.« Flynns Halsmuskeln spannten sich unter dem zugeknöpften Kragen seines weißen Hemds. »Ich habe nie behauptet, dass Tresca der Täter ist. Ich habe nur gesagt, dass er verdächtigt wird. Kapiert?«
»Director Flynn«, meldete sich ein anderer, der weniger zerzaust wirkte als die übrigen. »Ich soll Ihnen im Namen meiner Leser ausrichten, dass Sie ein guter Amerikaner sind.«
»Danke, Tommy. Das freut mich. Sie sind ebenfalls ein guter Amerikaner.«
»Meine Leser«, fuhr Tommy fort, »fühlen sich viel sicherer, seit Sie die Ausländer zusammentreiben, die versuchen, die Macht in dieser Stadt zu übernehmen.«
»Das nenne ich einen echten Zeitungsmann«, erklärte Flynn. »Und ihr anderen hört mir jetzt gut zu. Sobald wir diese politischen Gefangenen haben, die wir schon haben, können wir den Fall abschließen und eine Schleife drumbinden. Da habt ihr eure Story. Mit Brief und Siegel. Und das bringt ihr bitte auch.«
A m Freitag, den 15. Oktober, kam Littlemore noch einmal ins Polizeipräsidium in der Centre Street, um einige Sachen
zusammenzupacken. Seine Untergebenen Roederheusen und Stankiewicz schauten ebenfalls vorbei und hielten die Kappen in der Hand wie bei einer Bestattung.
»Spanky.« Nacheinander schüttelte Littlemore ihnen die Hand. »Stanky.«
»Sie werden uns fehlen, Cap.«
»Ach, hört schon auf.« Littlemore kam zur Sache. »Und vergesst nicht, die Gasse ist der Schlüssel. Die Gasse zwischen dem Schatzamt und der Münzanstalt. Sucht nach Leuten, die am sechzehnten September auf die Straße gelaufen oder zum Fenster
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