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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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im Schutz der Nacht, traten seine Agenten Türen ein. Tausende wurden mit oder ohne Anklage festgenommen, inhaftiert oder deportiert. Telefone wurden abgehört. Post wurde abgefangen. Verdächtige wurden »eindringlich verhört». Aber die Täter konnten nie identifiziert werden.

    All diesen abscheulichen Morden waren Menschen des öffentlichen Lebens zum Opfer gefallen. Die Leute von der Straße wähnten sich daher nicht in Gefahr und sahen keine Notwendigkeit, ihre Gewohnheiten zu ändern. Am 16. September 1920 ging mit der Wall Street auch diese trügerische Sicherheit in Flammen auf.
     
    N achdem sie die Polizeibarrikade passiert hatten, wurden Younger und Littlemore sofort belagert. Eine unerwartet große Menge drängte gegen die Absperrungen um den Ort der Explosion. Frauen mit Säuglingen im Arm zupften Younger am Ärmel und baten um Nachricht über ihre Ehemänner. Besorgte Stimmen drangen durch die Dämmerung, die zu wissen verlangten, was geschehen war.
    Littlemore bemühte sich, alle Fragen zu beantworten. Einer Frau versicherte er, dass keine Kinder ums Leben gekommen waren. Anderen erklärte er, wohin sie sich wenden mussten, um eine Liste der Opfer einsehen zu können. Die Übrigen ermahnte er bestimmt, aber ruhig, nach Hause zu gehen und bis zum nächsten Tag auf Neuigkeiten zu warten.
    Selbst die diensttuenden Beamten, die die Menge in Schach hielten, waren nicht gefeit gegen die allgemeine Aufregung. Als sie sich hindurchschoben, flüsterte einer von ihnen Littlemore zu: »Sagen Sie, Lieutenant, waren es die Bolschewiken? Es heißt, die Bolschewiken waren es.«
    »Nein, es war bloß ein Gasrohr.« Der zweite Officer hielt zum Beweis eine Zeitung hoch. »Das hat Bürgermeister Hylan gesagt. Das stimmt doch, Lieutenant, oder?«
    »Geben Sie her.« Littlemore nahm ihm die Zeitung ab, die der Beamte im Dienst eigentlich gar nicht dabeihaben
durfte. Es war eine vierseitige Extraausgabe der Sun. »Nicht zu fassen.« Littlemore studierte die zweite Seite. »Hylan erzählt allen Leuten, dass es eine geplatzte Hauptgasleitung war.«
    Sowohl Younger als auch Littlemore wussten, dass das wichtigste Merkmal des schwarzen Kraters auf dem Platz etwas war, das nicht da war : Es gab keinen Riss, keinen Sprung im Asphalt, der unweigerlich aufgetreten wäre, wenn ein Gasrohr geplatzt wäre und einen flammenden Geysir durch den Straßenbelag gejagt hätte.
    »Das ist ein Bombenkrater«, stellte Younger fest.
    »Zumindest sieht es so aus.« Littlemore las im Gehen weiter.
    »Es ist einer. Könnten Sie bitte die verdammte Zeitung weglegen?«
    »Meine Güte.« Der Detective warf das Blatt auf den Rücksitz des Automobils, das sie soeben erreicht hatten.
    »Wo ist die Kurbel?« Younger stand vor dem Wagen, um ihn anzuwerfen.
    »Man merkt, dass Sie tatsächlich länger außer Landes waren. Es gibt keine Kurbel mehr, sondern ein Pedal zum Anlassen.« Littlemore bemerkte die Sorge in Youngers Augen. »Kommen Sie, Doc. Es geht ihr bestimmt gut. Sie ist ins Hotel gegangen, hat den Jungen zum Essen mitgenommen und Ihnen am Empfang eine Nachricht hinterlassen, und die haben das irgendwie vermasselt — das ist alles.«
     
    A n der Ecke Forty-fourth Street und Lexington Avenue, einen Block entfernt vom Commodore Hotel, gab es ein öffentliches Etablissement mit dem Namen Bat and Table. Daneben lag eine schmale, unbeleuchtete Gasse, die vor
allem zum Abholen des Mülls diente und am Abend gewöhnlich leer war. Ungewöhnlicherweise war sie am Abend des 16. September 1920 von einem Automobil mit vier Türen, geschlossenem Dach und laufendem Motor besetzt.
    Der Fahrer des Wagens war kein besonders vornehmer Mensch. Er hatte ein dickes, rundes, haarloses Gesicht, das vor Schweiß glänzte. Die Schultern in dem fadenscheinigen Jackett waren so massig, dass kein Hals übrig blieb. Sein Hut war mindestens eine Größe zu klein, so dass die Ohren darunter hervorquollen. Obwohl das Fahrzeug stand, klebten seine Hände am Lenkrad, und die Frau neben ihm konnte das dichte kurze Haar auf seinen Fingerknöcheln sehen. Diese Frau war Colette Rousseau, deren Hände nach hinten gefesselt waren.
    Auf dem Rücksitz befand sich ein weiteres Individuum, dessen unerquickliche Ausstrahlung weniger mit seiner Muskulatur zusammenhing, von der nur wenig vorhanden war, als mit einer Pistole, die auf Colette zielte. Sein kleiner, drahtiger Körper steckte in einem zu großen Karoanzug, der nach schalem Bier stank. Sein Atem war nicht weniger aromatisch:

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