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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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altmodischen Kachelofen in Freuds Wohnzimmer knisterte ein Feuer. Younger und Freud tranken Kognak. Für Colette war Tee serviert worden, aber am Ende trank auch sie Kognak aus Youngers Glas. Nachdem sie Freud die ganze Geschichte erzählt hatten, kehrte Stille ein.
    »Was für ein schönes Tischtuch«, bemerkte Colette schließlich.
    »Finden Sie?«, fragte Freud.
    »Die Spitzenbordüre, wirklich wunderschön.«
    »Ich werde es Minna ausrichten; sie hat es gehäkelt. Möchten Sie vielleicht eine Decke, meine Liebe?«
    Colette hatte die Arme um den Körper geschlungen, als wäre sie noch immer draußen in der kalten Nacht. Plötzlich fuhr sie auf. »Warum habe ich ihn nicht getötet? Warum war ich so schwach?«
    »Das wissen Sie nicht?« Freud runzelte die Stirn.
    »Nein.«
    Freud schnitt eine Zigarre zurecht und beobachtete Colette aus den Augenwinkeln. Er bot auch Younger eine an, der jedoch ablehnte. »Die herkömmliche Antwort wäre, dass sich im letzten Moment Ihr Gewissen gemeldet und Sie davon überzeugt hat, dass Rache eine Sünde ist.«
    »Rache ist eine Sünde.«
    »Jeder Mensch will Rache«, erwiderte Freud. »Das Dumme ist nur, dass wir uns dabei meistens gegen den Falschen wenden. Das zumindest war bei Ihnen nicht der Fall. Aber Ihre religiösen Bedenken sind ohnehin nicht der Grund, warum Sie ihn nicht getötet haben.«
    »Ich weiß. Ich war aus ganzem Herzen davon überzeugt, dass es richtig ist. Und ich bin es noch immer, trotz allem. Aber warum war ich dann nicht in der Lage abzudrücken?«
    »Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, weshalb Ihr Bruder nicht redet.«
    Ratlos starrte Colette den Psychologen an.
    »Möchten Sie uns vielleicht mehr darüber erzählen, meine Liebe?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Ihr Bruder hat etwas zu sagen, und deshalb sagt er nichts.«
    »Ich ... Sie wissen, was meinem Bruder fehlt?«, platzte Colette heraus.
    »Ich weiß genau, was ihm fehlt.« Freud sog an seiner Zigarre. »Aber immer der Reihe nach. Meines Erachtens haben Sie nur zwei Möglichkeiten. Sich stellen oder das Land verlassen.«
    »Wir können uns nicht stellen«, erwiderte Younger. »Wir würden an die Polizei in Prag ausgeliefert und wer weiß wie lange eingesperrt. Irgendwann spüren sie bestimmt Grubers Mutter auf und erfahren, dass wir nach ihm gesucht haben. Dann fragen sie uns nach dem Grund. Wenn wir ihnen die Wahrheit sagen, werden sie daraus schließen, dass Colette ihn aus Rache töten wollte, und das stimmt ja auch. Es wäre Mord, selbst wenn wir beweisen könnten, was Gruber im Krieg getan hat, und das können wir nicht. Wenn wir ihnen hingegen nicht erklären, warum wir nach ihm gesucht haben, gehen sie sicher davon aus, dass wir etwas verheimlichen, und werden uns später kein Wort mehr glauben. So oder so müssen wir mit einer Verurteilung rechnen.«
    »Dann sollten Sie verschwinden.« Freud stockte, weil die Lampen im Zimmer flackerten. »Verdammt, schon wieder ein Stromausfall. Das passiert mindestens einmal pro Woche.
« Freud wartete, die Zigarre verharrte in der Luft. Das Flackern flaute ab, die Lichter blieben an. »Vielleicht haben wir nochmal Glück.«
    »Bitte, Dr. Freud, können Sie erklären, was mit meinem Bruder los ist?«
    »Ich werde Ihnen verraten, was ich weiß, Fräulein, aber diese Gedanken werden neu und befremdlich für Sie sein. Kognak?« Betont gemächlich schenkte Freud sich und Younger nach.
     
    N un, wo soll ich anfangen?« Freud saß mit übergeschlagenen Beinen da, in der einen Hand die Zigarre, in der anderen seinen Kognakschwenker. »Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich einen Weg zu unbekannten Bezirken unseres Geisteslebens entdeckt, in die ich vielleicht als erster Sterblicher vorgedrungen bin. Dort fand ich eine Hölle unaussprechlicher Ängste und Sehnsüchte, für die Männer und Frauen in früheren Zeiten auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden wären. Solche Erkenntnisse kann ein Mensch nicht öfter als einmal im Leben erwarten. Doch letztes Jahr habe ich eine neue Entdeckung gemacht, die, wie ich in meinen eitleren Momenten glauben möchte, die erste sogar noch übertreffen könnte. Niemand wird mir Glauben schenken, doch das ist nichts Neues. Ich bin bei der Untersuchung von Kriegsneurosen darauf gestoßen – und zum Teil sogar durch die Begegnung mit Ihrem Bruder, Mademoiselle Rousseau. Allerdings hat Ihr Bruder streng genommen keine Neurose, sein Zustand ist nur ähnlich. Eins möchte ich gleich klarstellen: Er braucht eine Behandlung.

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