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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Wohin auch immer Sie als Nächstes reisen, es muss etwas für ihn unternommen werden. Im Grunde ist sein Fall recht einfach. Ich könnte
ihn selbst heilen und würde dafür, sagen wir, acht Wochen brauchen.«
    »Ihn heilen?«, fragte Colette. »Vollständig?«
    »Ich denke schon.«
    Colette hatte es die Sprache verschlagen.
    Younger schaltete sich ein. »Sie haben uns zu Jauregg geschickt. Warum?«
    »Viele ziehen bei psychischen Erkrankungen eine mechanische Behandlung vor. Mademoiselle Rousseau muss entscheiden, ob ihr Bruder analysiert werden soll. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das wirklich will. Zweimal schon hat sie ihren Bruder nach Wien gebracht, wollte sich aber nicht für die Dauer einer Analyse binden. Und möglicherweise hat sie damit nicht so Unrecht; vielleicht steht ihr eine unangenehme Erfahrung bevor.«
    »Mir?« Colette fuhr auf. »Warum?«
    »Bereits letztes Jahr habe ich Sie darauf aufmerksam gemacht, dass die Wahrheiten, die die Psychoanalyse ans Licht bringt, stets auch andere Familienmitglieder betreffen. Fräulein, Sie wissen, was es heißt, nach Rache zu dürsten. Auch Ihr Bruder nimmt Rache — indem er nicht spricht.«
    »An wem?«, fragte Colette.
    »Vielleicht an Ihnen.«
    »Aber wofür denn?«
    »Können Sie uns das nicht sagen?« Freuds Augenbrauen hüpften.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie meinen.«
    »Es ist nur eine Vermutung, meine Liebe. Die genaue Antwort kenne ich ebenfalls nicht.«
    »Aber Sie haben doch gesagt, dass Sie wissen, was ihm fehlt.«

    »So ist es auch. Ich habe es schon letzten Sommer begriffen, zwei Monate nach Ihrer Abreise. Im Grunde ein Kinderspiel. Younger, was ist das auffälligste Symptom des Jungen? «
    »Keine Ahnung«, antwortete Younger.
    »Kommen Sie, ich habe es doch schon verraten.«
    Younger ärgerte sich über Freuds Gewohnheit, ihn mit analytischen Rätseln zu ködern, vor allem angesichts der Umstände. Trotzdem biss er an. »Sein Spiel. Das Spiel mit der Angelrolle.«
    »Richtig.« Freud strahlte. »Mademoiselle Rousseau hat mir erzählt, dass ihre Großmutter ein deutsches Versteckspiel mit ihrem Bruder gespielt hat, als er klein war. Er sagt fort und da , wenn er die Rolle ab- und wieder aufspult. Was bedeutet das?«
    Younger überlegte. »Wann hat er damit angefangen?«
    »1914«, antwortete Freud.
    »Er vollzieht den Tod seiner Eltern nach«, konstatierte Younger.
    »Offensichtlich. Immer wieder. Aber warum?«
    »Um den Verlust ungeschehen zu machen?«
    »Nein. Er macht nichts ungeschehen. Er zwingt sich dazu, immer wieder den schlimmsten Augenblick seines Lebens zu erfahren.« Mittlerweile erfüllte das schwere Aroma von Freuds Zigarre das ganze Zimmer. »Das ist der Schlüssel zum Rätsel. Alle Kriegsneurotiker wiederholen etwas. Sie folgen einem Zwang — einem Wiederholungszwang –, einem inneren Bedürfnis, das für ihren Zustand ursächliche Trauma nachzuspielen oder neu zu erleben. Und sie wiederholen alle das Gleiche: den Tod oder den Augenblick, in dem sie ihm am nächsten gekommen sind. Normalerweise
verfügen wir über Mechanismen — physiologischer und psychologischer Natur —, um die Erkenntnis unserer Sterblichkeit abzuwehren und sie vom Bewusstsein fernzuhalten. Wenn diese Abwehrmechanismen in einem Moment traumatischen Erlebens durchbrochen werden, dringt der nackte Schrecken ein und löst eine Art geistigen Brand aus, der schwer zu löschen ist und zu dem der Betroffene immer wieder zurückkehren muss. Der Kriegsneurotiker erlebt sein Trauma im Schlaf wieder; und selbst bei hellem Tageslicht wird er beim Schlagen einer Tür die Vorstellung einer Bombendetonation heraufbeschwören und das Ereignis sogar bis hin zu körperlichen Symptomen nachvollziehen. «
    »Aber warum?«, fragte Younger. »Um die Angst abzubauen? «
    »Das war lange Zeit mein Erklärungsansatz«, erwiderte Freud. »Angst abzubauen, wäre lustvoll. Zumindest würde es die Unlust vermindern. Jedes psychologische Phänomen, so dachte ich, wird im Grunde von dem Trieb gesteuert, Lust zu vermehren oder Unlust zu vermindern. Aber damit wollte ich die Tatsachen der Theorie anpassen, statt mit der Theorie den Tatsachen zu folgen. Das habe ich erst letztes Jahr allmählich begriffen. Der Krieg hat mich etwas gelehrt, was ich schon vor Jahren hätte erkennen müssen: Wir haben einen Instinkt jenseits des Lustprinzips. Einen anderen Trieb, genauso fundamental wie Hunger und ebenso unwiderstehlich wie die Liebe.«
    »Was für einen Trieb?« Colette faltete

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