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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nervös die Hände.
    »Einen Todestrieb. Noch Tee, Mademoiselle Roussau?«
    »Nein, danke.«
    »Sie meinen, ein Verlangen zu töten?«, fragte Younger.

    »Das ist eine Seite davon«, antwortete Freud. »Aber grundsätzlich ist es eine Sehnsucht nach dem Tod. Nach Vernichtung. Nicht nur nach der anderer, sondern auch der eigenen.«
    »Sie glauben also, dass die Menschen sterben wollen?«
    »Ja. Das liegt in unseren Zellen, in unseren Atomen. Im Universum wirken zwei grundlegende Kräfte. Eine zieht Materie zu Materie. So entsteht Leben und pflanzt sich fort. In der Physik wird diese Kraft als Schwerkraft bezeichnet, in der Psychologie als Liebe. Die andere Kraft reißt die Materie auseinander. Es ist die Kraft der Auflösung, des Zerfalls, der Zerstörung. Wenn ich Recht habe, wird nicht nur jeder Planet und jeder Stern im Universum von den anderen durch die Schwerkraft angezogen, sondern auch von ihnen abgestoßen durch eine Kraft, die wir nicht sehen können. In einem Organismus ist es diese Kraft, die ihn in den Tod treibt, so wie Motten ins Feuer fliegen.«
    »Aber können Sie ihn heilen, diesen Todestrieb?«, fragte Colette.
    »Einen Trieb kann man nicht heilen, Mademoiselle Rousseau«, antwortete Freud. »Man kann ihn nicht beseitigen. Aber man kann ihn bewusst machen und dadurch seine pathologischen Auswirkungen lindern. Wenn ein Trieb einen Impuls in uns hervorruft, dem wir nicht folgen, vergeht der Impuls nicht. Er kann unverändert bleiben. Er kann sich verstärken. Er kann sich zum Guten oder Schlechten auf andere Gegenstände richten. Oder er kann pathologische Symptome hervorrufen. Und diese Symptome lassen sich heilen.«
    »Ich hätte nicht gedacht«, warf Younger ein, »dass Lucs Stummheit auf den Tod abzielt.«

    »Nein, seine Stummheit hat einen anderen Zweck. Und diesen Zweck zu entdecken, wäre das Ziel der Analyse. Zweifellos steht er in Zusammenhang mit dem Tod seiner Eltern, doch das ist nicht alles. Möglicherweise hat ihn ihr Tod an eine Szene erinnert, deren Zeuge er früher wurde. Hat Ihr Vater Sie schlecht behandelt, Mademoiselle Rousseau?«
    »Schlecht behandelt? In welcher Weise?«
    »In irgendeiner Weise.«
    »Überhaupt nicht.«
    »Nein? Hat er Sie bevorzugt?«
    »Luc war sein Liebling. Ich war ein Mädchen.«
    Freud nickte. »Nun, schade, dass Sie nicht in Wien bleiben können. Wien ist viel kleiner als New York, man würde Sie hier bemerken. Die Polizei wird alle zur Wachsamkeit aufrufen, und irgendjemand würde Sie bestimmt melden.«
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Dr. Freud?« Colette sah ihn an.
    »Natürlich.«
    »Diese zwei Kräfte, die Sie beschreiben. Sie sind das Gute und das Böse, nicht wahr? Die Sehnsucht nach Liebe ist gut, und die Sehnsucht nach dem Tod ist böse.«
    Freud lächelte. »Meine Liebe, in der Wissenschaft gibt es kein Gut und Böse. Der Todestrieb gehört zu unserer Biologie. Sind Sie vertraut mit der Chromatolyse – dem natürlichen Prozess, durch den Zellen absterben? Jede unserer Zellen führt zu einem vorbestimmten Zeitpunkt ihre Zerstörung herbei. Dahinter steckt der Todestrieb. Und was passiert, wenn eine Zelle nicht stirbt? Sie teilt sich weiter und pflanzt sich endlos fort, auf unnatürliche Weise. Sie wird zu einem Geschwür. Denn Krebs ist nichts anderes als die Wucherung von Zellen, denen der Wille zum Sterben
fehlt. Der Todestrieb ist nicht böse, Mademoiselle Rousseau. Wenn er angemessen funktioniert, ist er genauso wesentlich für unser Wohlbefinden wie sein Gegenteil.«
     
    N achdem Freud sich zurückgezogen und Colette sich mit Luc in einem der alten Kinderzimmer eingerichtet hatte, kehrte Stille in der Wohnung ein, und Younger ging hinaus auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Drinnen hatte er sich wie gefangen gefühlt, und auf dem kleinen Balkon zum Hof war es nicht besser. Er hörte von innen eine Tür und dachte, dass es vielleicht Colette war, die zu ihm kommen wollte.
    »Nein, ich bin’s nur.« Freud trat zu ihm. »Und, was halten Sie von meinem Todestrieb?«
    »Ich bin dafür«, antwortete Younger.
    Der Psychologe lächelte. »Sie sind immer noch im Krieg, mein Junge. Die Demobilisierung ist nicht bis zu Ihnen vorgedrungen. Vor zehn Jahren hätte ich Sie nicht als einen Instinktmenschen eingeschätzt. Damals haben Sie das eher verdrängt.«
    »Irgendwo habe ich gelesen, dass Verdrängung ungesund ist. Das hat ein weltberühmter Psychologe bewiesen.«
    »Von dessen Ideen Sie nichts halten.«
    Younger dachte nach. »Vor

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