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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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mich sehr beeindrucken. Frauen sind normalerweise so unvernünftig. Wie die meisten Menschen. Ich erinnere mich, wie ich als Junge etwas vollkommen Vernünftiges vorgeschlagen habe und meine Eltern es als ›falsch‹ bezeichnet haben. Dazu haben sie immer diese Miene aufgesetzt. Was soll das heißen – falsch? Als hätten sie plötzlich die Sprache gewechselt. Ich glaube nicht, dass dieses Wort eine Bedeutung hat. Ich habe die Leute oft darum gebeten, es mir zu erklären, aber niemand kann es. Sie nennen immer nur Beispiele. Alles nur Kauderwelsch. Manchmal, wenn ich die Menschen so betrachte, Miss Rousseau, denke ich mir, das sind alles nur Schafe. Vielleicht bin
ich der Einzige mit einem eigenen Willen. Samuels, öffnen Sie Miss Rousseaus Mund.«
    »Sie wollen mich zwingen, Ihre Farbe zu schlucken?« Colette tastete verzweifelt umher.
    »Machen Sie sich bitte keine Sorgen«, erklärte Brighton in beschwichtigendem Tonfall. »Das haben wir schon öfter gemacht, es funktioniert prächtig. Von der Farbe wird Ihnen übel, und wir bringen Sie in die Sloane-Frauenklinik, wo Sie von einem Spezialisten namens Lyme behandelt werden. Er wird Ihnen etwas verabreichen, damit Sie nicht sprechen. Sie werden schwächer, und vielleicht fallen Ihnen die Haare aus. Das wird Sie sehr unattraktiv machen, aber das spielt keine Rolle – ich werde Sie nicht besuchen. Wahrscheinlich wird die Diagnose auf Syphilis lauten. Und dann werden Sie sterben. Das läuft alles ganz reibungslos, das verspeche ich Ihnen. Möchten Sie jetzt bitte den Mund öffnen? Sie erweisen mir einen großen Gefallen damit.«
    »Mr. Brighton, ich bitte Sie.« Sie wandte sich von ihm ab. »Erschießen Sie mich. Dann ist es vorbei.«
    »Aber das geht nicht«, erwiderte Brighton. »Wenn wir Sie erschießen würden, Miss Rousseau, müsste entweder Ihre Leiche verschwinden, was zu allerlei Fragen führen würde, oder wir müssten Sie mit Kugeln im Leib der Polizei übergeben, was zu noch mehr Fragen führen würde. Ich versichere Ihnen, die Farbe ist viel ...« Brightons Satz blieb unvollendet.
    Colette, die den Männern blitzschnell den Rücken zugekehrt hatte, packte den roten Griff des Hauptschalters, vor dem die Arbeiterin sie gewarnt hatte, und stürzte die Fabrik in Dunkelheit. Sofort ließ sie sich auf den Boden fallen, und von der Metallplatte prallten sirrende Querschläger ab.

    »Nicht schießen!«, befahl Brighton. »Sie kann nicht hinaus. Schalten Sie das Licht wieder ein.«
    Colette sah nichts außer dem Messglas mit Leuchtfarbe in Brightons Händen, das Nase und Kinn des Industriellen in einen grünlich gelben Schein tauchte. Lautlos huschte sie auf ihn zu, packte das Glas mit beiden Händen und schüttete ihm die Farbe ins Gesicht.
    Brighton kreischte auf. »Runter damit! Runter damit!«
    Sofort lief Colette zur hinteren Wand, die vier große Fenster hatte. Eine trübe Ahnung von Licht drang herein. Samuels hatte den Hauptschalter umgelegt, aber die dicken Drähte in den Hängelampen erwachten nur langsam zum Leben. Der Sekretär stand mit einem Taschentuch bei Brighton und bemühte sich vergeblich, die schimmernde Farbe vom Gesicht seines Arbeitgebers zu wischen.
    »Unwichtig!«, zischte Brighton. »Wo ist sie?«
    Colette packte einen Arbeitshocker und drosch ihn in eine Fensterscheibe. Ein klaffendes Loch entstand. Samuels feuerte in ihre Richtung, aber die relative Dunkelheit rettete sie. Eilig kletterte sie durch das Fenster und sprang nach unten auf die Straße. Die Lederhandschuhe hatten sie vor tieferen Schnitten bewahrt. Mit klopfendem Herzen ließ Colette die Fabrik hinter sich, ohne auf die Richtung zu achten. Sie hörte keinen Verfolger, aber sie rannte trotzdem weiter.
    Nach einer Ecke gelangte sie auf eine kurze, enge Straße ohne Laternen, dann zu einem Park. Sie huschte unter mehreren Bäumen hindurch, bis sie ein altes, wuchtiges Steingebäude mit einem Holztor erreichte. Es war ein Seiteneingang der Trinity Church. Er war verschlossen. Schwer atmend trommelte sie mit aller Kraft gegen die Tür, aber
niemand antwortete. Dann floh sie wieder zurück in die Nacht.
     
    I ch muss zur Grand Central Station.« Littlemore marschierte neben Younger zur Haltestelle der Untergrundbahn an der Ecke Broadway. Am Ende der Wall Street ragten dunkel die gotischen Türme der Trinity Church in den Nachthimmel. »Möchten Sie mitkommen?«
    »Ich bin mit Colette verabredet. Hier vor der Kirche.«
    »Hoffentlich wollten Sie sie nicht groß ausführen.«

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