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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sondern von einer Blutvergiftung. Früher war es praktisch unmöglich gewesen, jedes einzelne Schrotkorn zu entfernen, und es passierte nicht selten, dass der Verletzte starb. Doch mit guten, ordentlich berechneten Röntgenbildern konnte ihn jeder tüchtige Chirurg retten.
    Younger wusch sich Hände, Unterarme und Gesicht. Er ließ sich viel Zeit, um sich den Schmutz nicht nur von der Haut zu spülen, sondern auch aus dem Kopf. Inzwischen verabreichte die Frau dem Korporal erneut Chloroform. Dubeney versuchte vergeblich, ihre Hände wegzuschieben, bevor er wieder wegdämmerte. Younger machte sich an die Arbeit, und das Schweigen wurde nur unterbrochen von der Bitte um Instrumente und – bald nach dem Einschnitt — von dem gelegentlichen Klirren eines Metallstücks, das in eine Keramikschüssel fiel.

    Auf der Stirn des Arztes bildete sich Schweiß.
    »Moment.« Es war das erste Wort, das sie hier im Zelt sprach.
    Während er das Skalpell hochhielt, tupfte sie ihm mit einem Tuch die Stirn ab, dann auch Wangen, Kinn und Hals. Younger betrachtete ihre zarten, ernsten Gesichtszüge. Sie schaute ihm nicht ein einziges Mal in die Augen.
    »Was war in der Tüte?«, fragte Younger.
    »Pardon?«
    »Sie haben den Soldaten eine Tüte zugeworfen.«
    »Ach, nur Lebensmittel. Vor allem Käse. Sie bekommen nicht genug zu essen. Sie haben alle Hunger wie eine Schar Mäuse.«
    »Was haben Sie ihnen gesagt?«
    »Dass sie lieber Deutsche töten sollen, statt eine Französin zu belästigen.«
    Mit einem Nicken wandte sich Younger wieder seinem Patienten zu. »Wurden Sie von Madame Curie persönlich ausgebildet?«
    Sie spülte das schmutzige Tuch aus. »Ja.«
    »Was halten Sie von ihr?«
    Ihre Antwort kam postwendend. »Sie ist die edelste Frau der Welt.«
    »Ah, eine Bewunderin. Mich erstaunt es ehrlich gesagt, dass das überhaupt erlaubt wurde.«
    »Was meinen Sie?«
    »Eine Ehebrecherin, die junge Frauen ausbildet ...«
    »Sie hat keinen Ehebruch begangen«, unterbrach sie ihn in scharfem Ton. »Nur er. Monsieur Langevin war verheiratet, sie nicht. Aber ihm macht man keine Vorwürfe. Er wird nicht aufgefordert, das Land zu verlassen. Sein Haus wurde
nicht mit Steinen beworfen. Und jetzt hat er eine neue Geliebte. Einstein hat ein uneheliches Kind, das ist allgemein bekannt. Warum soll Madame Curie ihren Lehrstuhl verlieren, warum droht man ihr mit dem Tod, wo diese Leute das Gleiche oder sogar Schlimmeres tun?«
    »Weil sie eine Frau ist«, erwiderte Younger. »Frauen sollten rein sein.«
    »Auch Männer sollten rein sein.«
    »Und weil sie Jüdin ist. Skalpell.«
    »Was?«
    »Skalpell. Und Polin.«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Und ihr schwerstes Verbrechen: Sie hat den Nobelpreis nicht nur einmal gewonnen, sondern sogar zweimal.«
    Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob Sie das ernst meinen.«
    »Wenn ich der Wahrheit die Ehre geben soll, ich bin nur zu Männern ehrlich. Bei Frauen ist mir nicht zu trauen.«
    Sie schaute ihn an.
    »Frauen bringen Männern das Lügen bei«, fuhr er fort. »Aber wir werden nie so gut darin, wie sie es gern hätten. Wie haben Sie Madame Curie kennengelernt?«
    Erst nach einigem Zögern antwortete sie. »Ich bin zur Sorbonne gegangen, um mich als Studentin für das Fach Chemie zu bewerben. Ich war siebzehn. Sie haben mich alle ausgelacht, weil ich kein Abitur hatte. Zufällig – vielleicht war es auch eine Fügung des Schicksals — kam Madame herein. Sie hatte alles gehört. Was für eine Angst sie ihnen eingejagt hat. Ich weiß nicht, warum, aber sie hat sich für mich interessiert, als ich erzählt habe, dass mich mein Vater in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet hatte.
Sie hat mir Fragen gestellt, und ich konnte meine Kenntnisse zeigen. Sie hat dafür gesorgt, dass ich zu einer Aufnahmeprüfung zugelassen wurde.«
    »Und die haben Sie bestanden?«
    »Ich hatte die besten Noten des Jahrgangs.«
    »Dann sollten Sie jetzt studieren, statt Röntgenaufnahmen von Verwundeten zu machen.«
    »Ich habe zwei Jahre lang studiert. Aber dann habe ich erfahren, was Madame für die Soldaten tut. Diese Röntgenwagen waren ihre Idee. Sie hat als Erste begriffen, wie viele Menschenleben wir mit Radioskopen im Feld retten können. Alle haben gesagt, das ist unmöglich, also hat sie ein Gerät entwickelt, das in einem Fahrzeug funktioniert. Die Regierung ist zu dumm, um diese Sache zu finanzieren, also hat Madame das Geld dafür allein beschafft. Dann wollte die Armee keine Männer für das

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