Todesinstinkt
wird. Zweitens will ich einen Abschluss an der Sorbonne machen — für meinen Vater. Wenn sie mich nach dem Krieg nicht gleich annehmen, werde ich mich so lange bewerben, bis sie es tun.«
»Und drittens?«
Sie strich ihren Rock glatt. Dann musterte sie ihn. »Für Sie ist das natürlich anders. Sie sind ein Mann – Sie hatten schon viele Frauen und können dafür auch noch mit Beifall rechnen.«
»Ich? Ich bin so enthaltsam wie ein Kapuzinermönch.«
Sie lachte spöttisch.
»Falls Sie sich wieder auf die Krankenschwestern berufen wollen – die sind nur eifersüchtig, weil ich so viel Zeit mit Ihnen verbringe.«
»Sie waren nie verheiratet?«
»Ich glaube nicht an die Ehe.«
»Lassen Sie mich raten, warum nicht.« Sie überlegte kurz. »Weil es Ihrer Ansicht nach gegen die Natur des Menschen ist, monogam zu sein.«
»Eine Ehe blickt in die Zukunft. Das ist unpraktisch, wenn man im Krieg ist.«
»Ich hätte noch eine Erklärung.« Sie stellte das Glas ab und hob Youngers Lederjacke und Militärmütze auf. »Weil Sie Amerikaner sind.«
»Und?«
»Nun, wenn Sie Franzose wären und heiraten würden, könnten Sie beliebig viele Affären haben. Sie würden es als ihr gutes Recht betrachten. Aber als Amerikaner müssen Sie treu sein.«
»Ach?«
»Amerikanische Ehemänner sind viel treuer. Das behauptet zumindest Monsieur de Tocqueville.« Sie stand auf und probierte Jacke und Mütze an. »Wie sehe ich aus?«
Er antwortete nicht.
»Mögen Sie es nicht, wenn ich Ihre Uniform trage? Na gut.« Sie nahm die Mütze ab und setzte sie ihm schräg auf. »Ihnen steht sie sowieso besser.«
Als sie die Mütze auf seinem Kopf zurechtrückte, neigte sie sich nach vorn, und die Aufschläge der übergroß an ihr hängenden Lederjacke klafften am Hals auseinander. Ein kleines Medaillon aus Silber und Perlmutt glitt aus ihrer weißen Bluse und schwang nach vorn. Er fasste sie an den Handgelenken und zog sie nach unten aufs Gras.
»Was machen Sie da?«
Er öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse.
»Bitte nicht.«
Er küsste ihren Hals.
»Nein«, hauchte sie.
Er hielt inne und schaute sie an. Ihre grünen Augen funkelten atemberaubend. Mit ihrer Brust hob und senkte sich das Medaillon. Er streckte den Arm nach ihrer Bluse aus, und sie fuhr zurück wie ein ängstliches Tier. Als sie sich hinkniete, hielt sie seine Pistole in den Händen. Doch diese steckte immer noch im Halfter, das sie nicht wegschütteln konnte. Wütend schwang sie die Waffe hin und her, bis der
Gurt daran wedelte wie ein Hundeschwanz. Schließlich riss sie die Pistole heraus und zielte auf ihn.
»Keine Bewegung.«
Er hob die Augenbraue. »Nur um das festzuhalten: Ich wollte den Knopf wieder zumachen.«
»Ich brauche keine Hilfe beim Zuknöpfen.« Sie stand auf und ließ ihren Worten Taten folgen. »Keine Bewegung, habe ich gesagt.«
Er ignorierte ihren Befehl und erhob sich.
»Setzen Sie sich in Ihren Wagen und verschwinden Sie.« Sie wand sich aus der Lederjacke und warf sie ihm hin. »Wenn Sie einen Schritt nach vorn machen, schieße ich.«
»Na, dann los.« Er trat vor, um seine Jacke aufzuheben. »Es gibt schlimmere Arten zu sterben als von Ihrer Hand.«
Sie bekam keine Gelegenheit mehr zu einer Antwort. Ganz in der Nähe heulte ein Motor auf, und die Scheinwerfer eines offenen Zweisitzers richteten sich auf sie. Keine drei Meter vor ihnen bremste das Fahrzeug. Ohne den Motor abzustellen, hüpfte Youngers Ordonnanz heraus. Im Gleißen der Scheinwerfer zielte Colette noch immer mit der Pistole auf Younger.
»Entschuldigung, Sir«, sagte die Ordonnanz. »Alles in Ordnung, Sir?«
»Was ist los, Franklin?«
»Sie werden gebraucht, Sir. Und zwar sofort.«
»Warum?«
»In der Nähe von Reims sind zwei deutsche Boten erwischt worden.« Franklin sprach den Namen wie Riehms aus. »Sie hatten Nachrichten dabei. Der Angriff beginnt heute Nacht, Sir. Der große Angriff.«
»Entschuldigen Sie mich bitte, Mademoiselle, mein Land
braucht mich.« Younger nahm das Koppel vom Gras und schnallte es sich um.
Sie runzelte die Stirn. »Müssen Sie an die Front?«
Er lächelte. »Noch nie habe ich solche Besorgtheit von jemandem erlebt, der mit einer Waffe auf mich zielt.« Er streckte die Hand nach der Pistole aus. Sie gab sie ihm.
»Sir?« Der Gefreite klang nervös.
»Ich komme schon, Franklin.« Bedauernd ließ er den Blick über das unbeendete Mahl gleiten. »Vielleicht möchte der Junge morgen noch was davon. Den Wein darf er natürlich nicht
Weitere Kostenlose Bücher